Kunstanspruch
vs. Konfektionssongs: Lady Gaga veröffentlicht ein neues Album
- Kunst schmückt, Trash
regiert die 15 Songs von „Artpop“
An
einem guten Tag kann man Lady Gaga schon etwas abgewinnen. Vor allem im
Rückblick betrachtet ist die Inszenierung im wechselnden Bizarrkostüm zwischen
Rindfleischrobe und Schusswaffen-BH mindestens genauso lustig wie der Bezug zu
den vielen Schaffensphasen Madonnas und die nicht nur dabei exerzierte Überhöhung
sämtlicher Popgesten bis hinauf zum Plafond der Lächerlichkeit. Man tut sich
schwer, bei zweifelsohne unterhaltsamen Songs wie „Alejandro“ oder „Americano“ auch
die folgende Frage aus dem Kopf zu bekommen: Ist Lady Gaga nicht eigentlich der
größte Pop-Treppenwitz seit Erfindung des Formatradios? Der ultimativ parodistische
Act, der dem System immer auch seine eigenen Waffen entgegenhält?
An
einem schlechten Tag wie heute hingegen erscheint ein Album wie „Artpop“, für
das Lady Gaga den (aufgelegten) Bezug zu Andy Warhol herstellt, um über die
Miteinbeziehung des unter anderem für das Cover verantwortlichen US-Kitschkunstkönigs
Jeff Koons, der Performance-Künstlerin Marina Abramović oder des Theaterregisseurs
Robert Wilson zwar ein auf dem Papier spannendes und Bedeutung suggerierendes Exposé
vorzulegen. Leider aber verhallen sämtliche wie auch immer gearteten Ansprüche mit
den fünfzehn neuen Songs bald zwischen sinnentleerter Partylyrik, Gebrauchsbeats
für die Laserdisco, der immer gleichen Stotter-Elektronik im immer gleichen
Song und so auch einer ermüdenden Erkenntnis, wie sie Attwenger einst
formulierten: Es gibt Wiederholungen.
Nach
dem Selbstermächtigungsalbum „Born This Way“ als Gaga-Manifest für die
Underdogs, die man aus dem US-Fernsehen als vom Quarterback verprügelte und von
der Abschlussball-Prinzessin gemobbte Hornbrillenträger-Nerds vom Schachclub
kennt, ist „Artpop“ nun wieder eine die Dekadenz der Reichen und Schönen umkreisende
Arbeit geworden. Auch oder womöglich gerade weil Sex eine Nebensächlichkeit
ist, von der sich ein Arbeitstier wie Lady Gaga im echten Leben nicht die Zeit
stehlen lässt, geht es mit einigem Nachdruck um den ewigen Kreislauf aus
Discotanzen und Liebemachen. Das dabei gezeichnete Frauenbild ist nichtssagend,
aber interessant. Und es passt in seiner Dialektik aus Breitbeinigkeit („Iʼm
not a wandering slave, I am a woman of choice!“) und den Unterwerfungsfantasien
eines Songs namens „G.U.Y.“ („I wanna be your G.U.Y. / The girl under you –
G.U.Y.“) gut zum Auseinanderklaffen vom zwischenzeitlichen Porno-Trash und der
eigentümlich-naturalistischen Nacktheit, wie sie Gaga zuletzt für eine Arbeit Marina
Abramovićs vor die Kamera brachte. Vielleicht liegt die Lösung des Dilemmas im Titelsong
selbst, aus dem ein Moment der sogenannten Authentizität im ansonsten
gekünstelten Werk gehört werden könnte. Lady Gaga: „My artpop could mean
anything.“
Große
Hits sind diesmal nicht auszumachen. Im Fahrwasser der trotz immensen Marketing-Geblökes
nur auf Platz vier der US-Billboard-Charts vorgedrungenen Vorab-Single
„Applause“ setzt es vor allem nach dem Einserschmäh von David Guetta klingende
Songs, von denen nur einer tatsächlich auch von Guetta mitproduziert wurde. Böllernde
Pling-Plong-Elektronik trifft auf Grace-Jones-Mitternachtseinlagen-Disco
(„Fashion!“), Reizüberflutungsraps („Jewels Nʼ Drugs“), Elektropop mit
Stromgitarrenerweiterung („Manicure“) und elektronischen R ’n’ B, der Gaga im
Duett mit US-Schmachtfetzen-Interpret R. Kelly zum expressiven Song-Zersingen lädt
– Christina Aguilera lässt grüßen. Im Falle des organischeren „Dope“ fühlt man
sich von einer auf Rockröhre gestimmten Lady Gaga letztlich gar an Bonnie Tyler
erinnert.
Behauptete
Kunst findet nicht statt. Und in der einzigen Überraschung, die Lady Gaga
diesmal für uns bereithält, steckt das wohl größte No-Go der
Entertainmentbranche: „Artpop“ ist ein ziemlich langweiliges Album geworden.
Lady Gaga:
Artpop (Universal)
(Wiener Zeitung, 8.11.2013)
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