Freitag, November 08, 2013

Liebemachen, Discotanzen

Kunstanspruch vs. Konfektionssongs: Lady Gaga veröffentlicht ein neues Album

- Kunst schmückt, Trash regiert die 15 Songs von „Artpop“ 

An einem guten Tag kann man Lady Gaga schon etwas abgewinnen. Vor allem im Rückblick betrachtet ist die Inszenierung im wechselnden Bizarrkostüm zwischen Rindfleischrobe und Schusswaffen-BH mindestens genauso lustig wie der Bezug zu den vielen Schaffensphasen Madonnas und die nicht nur dabei exerzierte Überhöhung sämtlicher Popgesten bis hinauf zum Plafond der Lächerlichkeit. Man tut sich schwer, bei zweifelsohne unterhaltsamen Songs wie „Alejandro“ oder „Americano“ auch die folgende Frage aus dem Kopf zu bekommen: Ist Lady Gaga nicht eigentlich der größte Pop-Treppenwitz seit Erfindung des Formatradios? Der ultimativ parodistische Act, der dem System immer auch seine eigenen Waffen entgegenhält? 

An einem schlechten Tag wie heute hingegen erscheint ein Album wie „Artpop“, für das Lady Gaga den (aufgelegten) Bezug zu Andy Warhol herstellt, um über die Miteinbeziehung des unter anderem für das Cover verantwortlichen US-Kitschkunstkönigs Jeff Koons, der Performance-Künstlerin Marina Abramović oder des Theaterregisseurs Robert Wilson zwar ein auf dem Papier spannendes und Bedeutung suggerierendes Exposé vorzulegen. Leider aber verhallen sämtliche wie auch immer gearteten Ansprüche mit den fünfzehn neuen Songs bald zwischen sinnentleerter Partylyrik, Gebrauchsbeats für die Laserdisco, der immer gleichen Stotter-Elektronik im immer gleichen Song und so auch einer ermüdenden Erkenntnis, wie sie Attwenger einst formulierten: Es gibt Wiederholungen.

Nach dem Selbstermächtigungsalbum „Born This Way“ als Gaga-Manifest für die Underdogs, die man aus dem US-Fernsehen als vom Quarterback verprügelte und von der Abschlussball-Prinzessin gemobbte Hornbrillenträger-Nerds vom Schachclub kennt, ist „Artpop“ nun wieder eine die Dekadenz der Reichen und Schönen umkreisende Arbeit geworden. Auch oder womöglich gerade weil Sex eine Nebensächlichkeit ist, von der sich ein Arbeitstier wie Lady Gaga im echten Leben nicht die Zeit stehlen lässt, geht es mit einigem Nachdruck um den ewigen Kreislauf aus Discotanzen und Liebemachen. Das dabei gezeichnete Frauenbild ist nichtssagend, aber interessant. Und es passt in seiner Dialektik aus Breitbeinigkeit („Iʼm not a wandering slave, I am a woman of choice!“) und den Unterwerfungsfantasien eines Songs namens „G.U.Y.“ („I wanna be your G.U.Y. / The girl under you – G.U.Y.“) gut zum Auseinanderklaffen vom zwischenzeitlichen Porno-Trash und der eigentümlich-naturalistischen Nacktheit, wie sie Gaga zuletzt für eine Arbeit Marina Abramovićs vor die Kamera brachte. Vielleicht liegt die Lösung des Dilemmas im Titelsong selbst, aus dem ein Moment der sogenannten Authentizität im ansonsten gekünstelten Werk gehört werden könnte. Lady Gaga: „My artpop could mean anything.“ 

Große Hits sind diesmal nicht auszumachen. Im Fahrwasser der trotz immensen Marketing-Geblökes nur auf Platz vier der US-Billboard-Charts vorgedrungenen Vorab-Single „Applause“ setzt es vor allem nach dem Einserschmäh von David Guetta klingende Songs, von denen nur einer tatsächlich auch von Guetta mitproduziert wurde. Böllernde Pling-Plong-Elektronik trifft auf Grace-Jones-Mitternachtseinlagen-Disco („Fashion!“), Reizüberflutungsraps („Jewels Nʼ Drugs“), Elektropop mit Stromgitarrenerweiterung („Manicure“) und elektronischen R ’n’ B, der Gaga im Duett mit US-Schmachtfetzen-Interpret R. Kelly zum expressiven Song-Zersingen lädt – Christina Aguilera lässt grüßen. Im Falle des organischeren „Dope“ fühlt man sich von einer auf Rockröhre gestimmten Lady Gaga letztlich gar an Bonnie Tyler erinnert.

Behauptete Kunst findet nicht statt. Und in der einzigen Überraschung, die Lady Gaga diesmal für uns bereithält, steckt das wohl größte No-Go der Entertainmentbranche: „Artpop“ ist ein ziemlich langweiliges Album geworden. 

Lady Gaga: Artpop (Universal) 

(Wiener Zeitung, 8.11.2013)

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