Frechheit siegt:
Icona Pop veröffentlichen ihr internationales Debütalbum nun auch bei uns
Wenn
man noch jung ist, gleicht die Erde einem Tollhaus. Und jung ist man aufgrund der
Weiterentwicklung am Anti-Aging-Markt heute entweder drei-, viermal pro Leben –
oder gleich durchgehend und so lange, bis die Endlife-Crisis mit dem Sensenmann
vor der Tür steht. Kabinenparty im Seniorenheim: Per Stimmungsaufheller lustig
sein. Mit der Kreditkarte Mehlschneiden am Kindergeburtstag. Süße Jugend! Mama
und Papa schocken. Rocken, bis die Rettung kommt.
Wer
davor, dazwischen und danach fit für die Leistungsgesellschaft sein muss, darf
seine Motivation auch auf dem Dancefloor und an der Bar beweisen. Der lange
Atem ist nicht tot, er riecht nur etwas streng. Aber halt, es wird zu ernst! Eine
Kiste noch in den Getränkekühlschrank
und bringt die Boxen zum Vibrieren, Freunde! Der Nachbar ärgert sich zwar gerne,
aber bestimmt nicht von allein.
Ausschweifungspop
Das
schwedische Duo Icona Pop um die Freundinnen Caroline Hjelt und Aino Jawo weiß um
all das nicht etwa nur Bescheid. Es liefert mit seinem nassforschen
Ausschweifungspop gleich auch den Soundtrack dazu. Wir hören Loblieder auf die Jugend
und deren Verheißungsangebot zwischen Sleepovers ohne Schlaf und einem Dasein
ohne Sorgen. Die Welt ist toll! Und sie gehört uns.
Einen
ersten diesbezüglich auffälligen Hit verbuchten Icona Pop mit dem global aus
den Shoppingläden plärrenden Zweieinhalbminüter „I Love It“ im Mai des
Vorjahres. Dieser kam mit Textzeilen wie „I crashed my car into
the bridge/ I watched, I let it burn / I donʼt care, I love it“ mindestens als Ansage
daher. Und
er ging auf die erste fatale Karriere-Entscheidung der britischen Newcomerin
Charli XCX zurück, die den Song verfasste, ihn allerdings Icona Pop überließ
und auf ihrem eigenen Debütalbum im Anschluss keinen ähnlichen Kracher mehr vorweisen
konnte.
Das
standesgemäß auf einer Party gegründete schwedische Duo hingegen hatte das
große Los gezogen und begann mit New York als neuem Dienstantrittsort am
internationalen Erstlingswerk zu feilen. Vermutlich wurde der Dienst auch
aufgrund der Zerstreuungsmöglichkeiten im Partymoloch Brooklyn dann aber doch
nicht zu oft angetreten – schließlich kann die Jugend hier auf zünftiger
24/7-Basis verschwendet werden. Aber auch die bevorzugt gleichen Skandier-Gesänge,
die vom Produzententeam erledigten Vierviertel-Beats und eine Albumlänge von
letztlich nur knapp einer halben Stunde dürften es dem Doppel ermöglicht haben,
die Sache mit der Erwerbsarbeit auf die leichte Schulter zu nehmen. Auch halten
Hjelt und Jawo nur an fünf von elf Songs Co-Writing-Credits.
Rotzlöffel-Mentalität
Auf
„This Is … Icona Pop“ setzt es wendigen Straight-Forward-Pop, der seinen
einzigen Anspruch – nämlich den, zu unterhalten – vortrefflich erfüllt und so
etwa auch eine heute vor allem um Bedeutung bemühte Lady Gaga in ziemlich jeder
Hinsicht alt aussehen lässt. Die Basssynthesizer wedeln zum Après-Ski, die
Beats laden zum Workout und die Rotzlöffel-Mentalität der Protagonistinnen, die
sich auch mit im Hintergrund aufheulenden Polizeisirenen bemerkbar macht,
erheitert die Gemüter. File under: „Youʼre
from the Seventies, but Iʼm a Nineties bitch!“
Das
an dramatisch auffrisierten 80er-Jahre-Pop angelehnte „In The Stars“ oder
handzahme Konsenssongs wie „Just Another Night“ treten zwischendurch sanft auf
die Spaßbremse. Der queer lesbare Coming-of-Age-Schlager „Girlfriend“ oder das
Wave-inspiriert zickige „Then We Kiss“ hingegen verfehlen ihre Wirkung keineswegs.
Und auch „On A Roll“ fällt als Missing Link zwischen Bunny Lake und
Schlumpfendisco mindestens beglückend aus.
Die
Eltern fahren mit dem Auto davon. Die ersten vierzig Freunde biegen mit der
Bierpalette ums Eck. Ein lautstarkes „P-A-R-T-Y!!!“ schallt per Megaphon durch
die Nachbarschaft. Icona Pop meinen damit immer auch: Leben, Lebensinhalt,
Religion.
Icona Pop: This
Is… Icona Pop (Warner)
(Wiener Zeitung, 16./17.11.2013)
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