Freitag, November 15, 2013

Party? P-A-R-T-Y!!!

Frechheit siegt: Icona Pop veröffentlichen ihr internationales Debütalbum nun auch bei uns

Wenn man noch jung ist, gleicht die Erde einem Tollhaus. Und jung ist man aufgrund der Weiterentwicklung am Anti-Aging-Markt heute entweder drei-, viermal pro Leben – oder gleich durchgehend und so lange, bis die Endlife-Crisis mit dem Sensenmann vor der Tür steht. Kabinenparty im Seniorenheim: Per Stimmungsaufheller lustig sein. Mit der Kreditkarte Mehlschneiden am Kindergeburtstag. Süße Jugend! Mama und Papa schocken. Rocken, bis die Rettung kommt.

Wer davor, dazwischen und danach fit für die Leistungsgesellschaft sein muss, darf seine Motivation auch auf dem Dancefloor und an der Bar beweisen. Der lange Atem ist nicht tot, er riecht nur etwas streng. Aber halt, es wird zu ernst! Eine Kiste noch in den Getränkekühlschrank und bringt die Boxen zum Vibrieren, Freunde! Der Nachbar ärgert sich zwar gerne, aber bestimmt nicht von allein. 

Ausschweifungspop 

Das schwedische Duo Icona Pop um die Freundinnen Caroline Hjelt und Aino Jawo weiß um all das nicht etwa nur Bescheid. Es liefert mit seinem nassforschen Ausschweifungspop gleich auch den Soundtrack dazu. Wir hören Loblieder auf die Jugend und deren Verheißungsangebot zwischen Sleepovers ohne Schlaf und einem Dasein ohne Sorgen. Die Welt ist toll! Und sie gehört uns.

Einen ersten diesbezüglich auffälligen Hit verbuchten Icona Pop mit dem global aus den Shoppingläden plärrenden Zweieinhalbminüter „I Love It“ im Mai des Vorjahres. Dieser kam mit Textzeilen wie „I crashed my car into the bridge/ I watched, I let it burn / I donʼt care, I love it“ mindestens als Ansage daher. Und er ging auf die erste fatale Karriere-Entscheidung der britischen Newcomerin Charli XCX zurück, die den Song verfasste, ihn allerdings Icona Pop überließ und auf ihrem eigenen Debütalbum im Anschluss keinen ähnlichen Kracher mehr vorweisen konnte.

Das standesgemäß auf einer Party gegründete schwedische Duo hingegen hatte das große Los gezogen und begann mit New York als neuem Dienstantrittsort am internationalen Erstlingswerk zu feilen. Vermutlich wurde der Dienst auch aufgrund der Zerstreuungsmöglichkeiten im Partymoloch Brooklyn dann aber doch nicht zu oft angetreten – schließlich kann die Jugend hier auf zünftiger 24/7-Basis verschwendet werden. Aber auch die bevorzugt gleichen Skandier-Gesänge, die vom Produzententeam erledigten Vierviertel-Beats und eine Albumlänge von letztlich nur knapp einer halben Stunde dürften es dem Doppel ermöglicht haben, die Sache mit der Erwerbsarbeit auf die leichte Schulter zu nehmen. Auch halten Hjelt und Jawo nur an fünf von elf Songs Co-Writing-Credits. 

Rotzlöffel-Mentalität 

Auf „This Is … Icona Pop“ setzt es wendigen Straight-Forward-Pop, der seinen einzigen Anspruch – nämlich den, zu unterhalten – vortrefflich erfüllt und so etwa auch eine heute vor allem um Bedeutung bemühte Lady Gaga in ziemlich jeder Hinsicht alt aussehen lässt. Die Basssynthesizer wedeln zum Après-Ski, die Beats laden zum Workout und die Rotzlöffel-Mentalität der Protagonistinnen, die sich auch mit im Hintergrund aufheulenden Polizeisirenen bemerkbar macht, erheitert die Gemüter. File under: „Youʼre from the Seventies, but Iʼm a Nineties bitch!“ 

Das an dramatisch auffrisierten 80er-Jahre-Pop angelehnte „In The Stars“ oder handzahme Konsenssongs wie „Just Another Night“ treten zwischendurch sanft auf die Spaßbremse. Der queer lesbare Coming-of-Age-Schlager „Girlfriend“ oder das Wave-inspiriert zickige „Then We Kiss“ hingegen verfehlen ihre Wirkung keineswegs. Und auch „On A Roll“ fällt als Missing Link zwischen Bunny Lake und Schlumpfendisco mindestens beglückend aus.

Die Eltern fahren mit dem Auto davon. Die ersten vierzig Freunde biegen mit der Bierpalette ums Eck. Ein lautstarkes „P-A-R-T-Y!!!“ schallt per Megaphon durch die Nachbarschaft. Icona Pop meinen damit immer auch: Leben, Lebensinhalt, Religion.

Icona Pop: This Is… Icona Pop (Warner) 

(Wiener Zeitung, 16./17.11.2013)

Keine Kommentare: