Mit "Michael" liegt nun das erste Album aus dem Nachlass von Michael Jackson vor.
Es beginnt selbstreferenziell, es endet selbstreferenziell. Der erste Satz auf "Michael", dem nun vorliegenden, ersten Studioalbum aus dem Nachlass von Michael Jackson, ist bedeutungsschwer. Er lautet: "This life don’t last for ever". Gut 40 Minuten später verklingt der Tonträger mit einer weiteren Erkenntnis: "I guess I learned my lesson much too soon."
Der einst als "King of Pop" bekannte Sänger und Entertainer haucht resignative Abschiedsworte in ein auch für seine Verhältnisse überbordend kitschiges Gemisch aus Streicherschmelz, Akkordeon und Cembalo.
Und auch in der Zeit dazwischen wird man nicht nur Zeuge von Jacksons Kernkompetenz, seine Liebe zu uns in kraftspendende Durchhalteparolen ("Keep Your Head Up", "Hold My Hand") zu übersetzen. Weil es im Showgeschäft auch und gerade nach dem Tod darum gehen muss, das Zeichensystem zu bedienen, setzt Jackson als Stimme aus dem Jenseits letztlich zur Anklage an. Wie man auf dem bereits im Vorfeld der Albumveröffentlichung offiziell zum Download im Internet angebotenen "Breaking News" nachhören kann, wehrt sich der Sänger noch aus dem Grab gegen die Paparazzi, die ihm das Leben einst schwer machen wollten. "Everybody watching the news on Michael Jackson. They wanna see that I fall cause I’m Michael Jackson. You write the words to destroy like it’s a weapon." Und: "Everybody wanting a piece of Michael Jackson."
Ein Stück vom Verwertungskuchen aus dem Erbe des Sängers wollen derzeit viele ihr Eigen nennen. Vor diesem Hintergrund muss man auch "Michael" sehen, das, mit zehn Liedern bewusst knapp gehalten, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erscheint und erst den Auftakt des posthumen Erscheinungsreigens darstellt: Mehr als einhundert unveröffentlichte Songs des im Vorjahr verstorbenen Popstars sollen insgesamt in der Lade liegen, viele davon datieren lange zurück. Von den nun als "neu" verkauften Stücken stammen etwa das mit solider Hookline und einem Disco-Teil aufwartende "Behind The Mask" oder die Schmalzballade "Much Too Soon" aus der Thriller-Ära (1982!), während der mit Klavier behübschte R’n’B-Song "(I Like) The Way You Love Me" bereits im Jahr 2004 auf der Zusammenstellung "The Ultimate Collection" erschienen ist. Tatsächlich am aktuellsten dürfte das zurückgenommene "Best Of Joy" sein, das Jackson noch im Jahr seines Todes geschrieben und aufgenommen haben soll.
Während die Authentizität des Materials von Jacksons Mutter Katherine bezweifelt wird – tatsächlich muss Jacksons Stimme als zumindest stark nachbearbeitet bezeichnet werden –, wies auch Produzent will.i.am die Veröffentlichung als "respektlos" zurück. Ob Jackson, an dessen schmalem Spätwerk auch seine zunehmende Versagensangst schuld war, mit "Michael", an dem sich gleich acht (!) Produzenten versuchten, zufrieden gewesen wäre, ist also mindestens fraglich.
Außer einem "Duett" mit dem US-Gangsta-Rapper 50 Cent, der abgefeuerte Schusswaffen in den Klangkosmos Jacksons einführte, bietet "Michael" weder Überraschungen noch ausgewiesene Höhe- und Tiefpunkte. Zu Lebzeiten wäre Jackson dafür als Schatten seiner selbst bezeichnet worden. Nach dem Tod wird sich nun aber mehr ausgehen als ein solider Verkaufserfolg.
(Wiener Zeitung, 15.12.2010)
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