Freitag, September 23, 2011

Heute wird wie gestern sein

Kitty, Daisy & Lewis, drei Geschwister aus London, und ihr belebender Retro-Pop: Live am Sonntag in der Wiener Arena.

Zuletzt befand man sich im Wiener Volksgarten Pavillon unter Swingern. Die entsprechende Neigungsgruppe, die dort jeden Montag zum Tanz lädt, riss in ihrem Elan auch die Grillfanatiker vom Barbecue mit. Infizierende Lebenslust, als flotte Sohle auf das Parkett gelegt: Neben ewigen Referenzgrößen wie den Garagenbands der 60er-Jahre, den Helden des Post-Punk oder dem längst amnestierten 80er-Jahre-Pop darf es in der Popkultur heute noch wesentlich ursprünglicher zugehen.

Das hat teils weniger mit der Musik zu tun als vielmehr mit einem grundsätzlichen Epochen-Revival. Siehe dazu die Erfolge der österreichischen Modedesignerin Lena Hoschek mit Kollektionen, die sich auf den Rockabilly-Style der 50er-Jahre beziehen, oder den Siegeszug der US-Serie „Mad Men“, die die Sixties zuletzt als très chic in Erinnerung rief. In die gleiche Zeit fällt zudem der gesellschaftliche Modernisierungsschub Brasiliens mit den Mitteln des heute auch wieder schwer angesagten Bossa Nova.

Nostalgischer Charme

Wie zuletzt von Woody Allens wehmütiger Komödie „Midnight in Paris“ dargelegt wurde, ist diesbezüglich zwar Vorsicht geboten: Die Sehnsucht nach gestern war womöglich schon früher modern, als die Gegenwart genauso unerträglich schien wie im Heute. Der hübsch rumpelnde Vintage-Pop von Kitty, Daisy & Lewis aus London lässt uns diesen Umstand nun aber vergessen. Auch urbanen Zeitgeistern dürfte es schwer fallen, sich dem nostalgischen Charme dieses Trios dauerhaft zu entziehen.

Die Geschwister, von denen man erstmals im Jahre 2005 hören konnte, als sie gerade 12, 14 und 16 Jahre alt waren, berufen sich bevorzugt auf jene Phase, in der der Rock ’n’ Roll noch nicht erfunden war. Beginnend mit Swing, Boogie und Country, hantelt sich die Band über den Rhythm and Blues höchstens herauf bis in die 1960er-Jahre – inklusive zweier Seitensprünge, bei denen sie zarte Bande mit dem jamaikanischen Ska-Genre knüpft. Mit Originalinstrumenten und im mit einem historischen Acht-Spur-Mischpult ausgestatteten Heimstudio aufgenommen, klingen die Ergebnisse dem Sound einer Ära nicht nur zum Verwechseln ähnlich. Dank schmalzinduzierter Haartolle und retroschicken Second-Hand-Outfits sehen die Jungspunde auch mindestens authentisch aus.
  
Als Familienunternehmen in Reinkultur halfen Vater und Mutter Durham live anfänglich an Gitarre und Bass aus. Entscheidenden Einfluss auf ihre Brut nahmen die Eltern aber vor allem mit ihrer Plattensammlung und einer hörbar im Sinne der Vorbildwirkung rezipierten Vergangenheit – und Gegenwart – im Musikgeschäft. Während Graeme Durham seine Brötchen als mitbesitzender Toningenieur des renommierten Exchange Mastering Studios verdient, trommelte seine Ehefrau Ingrid Weiss für die von Kurt Cobain verehrte feministische Post-Punk-Band The Raincoats.

Nach einer Kompilation mit einschlägigem Songmaterial sowie ihrem selbstbetitelten und überwiegend mit Coverversionen bestückten Debütalbum kredenzten Kitty, Daisy & Lewis mit „Smoking In Heaven“ heuer im Mai dreizehn wunderbare Eigenkompositionen, die kaum als solche ausgemacht werden konnten. Schepperndes Eigenbauschlagzeug, beschwingt trötende Trompeten, Boogie-Klavier, Mundharmonika und Akkordeon zu schlichten und schlicht herzergreifenden Texten über Herzschmerz und die Sehnsucht nach ein bisschen Liebe als alte Kunst von jungen Menschen. Die generationenübergreifende Wirkung dieses Entwurfs kann am Sonntag in der Wiener Arena überprüft werden: „You’ll soon be here!“ 

(Wiener Zeitung, 24./25.9.2011)

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