Kitty, Daisy & Lewis,
drei Geschwister aus London, und ihr belebender Retro-Pop: Live am Sonntag in der Wiener Arena.
Zuletzt befand
man sich im Wiener Volksgarten Pavillon unter Swingern. Die entsprechende
Neigungsgruppe, die dort jeden Montag zum Tanz lädt, riss in ihrem Elan auch
die Grillfanatiker vom Barbecue mit. Infizierende Lebenslust, als flotte Sohle auf
das Parkett gelegt: Neben ewigen Referenzgrößen wie den Garagenbands der 60er-Jahre,
den Helden des Post-Punk oder dem längst amnestierten 80er-Jahre-Pop darf es in
der Popkultur heute noch wesentlich ursprünglicher zugehen.
Das hat teils weniger mit der Musik zu tun als vielmehr mit
einem grundsätzlichen Epochen-Revival. Siehe dazu die Erfolge der österreichischen
Modedesignerin Lena Hoschek mit Kollektionen, die sich auf den Rockabilly-Style
der 50er-Jahre beziehen, oder den Siegeszug der US-Serie „Mad Men“, die die Sixties
zuletzt als très chic in Erinnerung rief. In die gleiche Zeit fällt zudem der
gesellschaftliche Modernisierungsschub Brasiliens mit den Mitteln des heute
auch wieder schwer angesagten Bossa Nova.
Nostalgischer Charme
Wie zuletzt von Woody Allens wehmütiger Komödie „Midnight in
Paris“ dargelegt wurde, ist diesbezüglich zwar Vorsicht geboten: Die Sehnsucht
nach gestern war womöglich schon früher modern, als die Gegenwart genauso
unerträglich schien wie im Heute. Der hübsch rumpelnde Vintage-Pop von Kitty,
Daisy & Lewis aus London lässt uns diesen Umstand nun aber vergessen. Auch urbanen
Zeitgeistern dürfte es schwer fallen, sich dem nostalgischen Charme dieses
Trios dauerhaft zu entziehen.
Die Geschwister, von denen man erstmals im Jahre 2005 hören
konnte, als sie gerade 12, 14 und 16 Jahre alt waren, berufen sich bevorzugt
auf jene Phase, in der der Rock ’n’ Roll noch nicht erfunden war. Beginnend mit
Swing, Boogie und Country, hantelt sich die Band über den Rhythm and Blues höchstens
herauf bis in die 1960er-Jahre – inklusive zweier Seitensprünge, bei denen sie
zarte Bande mit dem jamaikanischen Ska-Genre knüpft. Mit Originalinstrumenten und
im mit einem historischen Acht-Spur-Mischpult ausgestatteten Heimstudio aufgenommen,
klingen die Ergebnisse dem Sound einer Ära nicht nur zum Verwechseln ähnlich. Dank
schmalzinduzierter Haartolle und retroschicken Second-Hand-Outfits sehen die
Jungspunde auch mindestens authentisch aus.
Als Familienunternehmen in Reinkultur halfen Vater und
Mutter Durham live anfänglich an Gitarre und Bass aus. Entscheidenden Einfluss
auf ihre Brut nahmen die Eltern aber vor allem mit ihrer Plattensammlung und einer
hörbar im Sinne der Vorbildwirkung rezipierten Vergangenheit – und Gegenwart –
im Musikgeschäft. Während Graeme Durham seine Brötchen als mitbesitzender Toningenieur
des renommierten Exchange Mastering Studios verdient, trommelte seine Ehefrau
Ingrid Weiss für die von Kurt Cobain verehrte feministische Post-Punk-Band The
Raincoats.
Nach einer Kompilation mit einschlägigem Songmaterial sowie ihrem selbstbetitelten
und überwiegend mit Coverversionen bestückten Debütalbum kredenzten Kitty,
Daisy & Lewis mit „Smoking In Heaven“ heuer im Mai dreizehn wunderbare
Eigenkompositionen, die kaum als solche ausgemacht werden konnten. Schepperndes
Eigenbauschlagzeug, beschwingt trötende Trompeten, Boogie-Klavier, Mundharmonika
und Akkordeon zu schlichten und schlicht herzergreifenden Texten über
Herzschmerz und die Sehnsucht nach ein bisschen Liebe als alte Kunst von jungen
Menschen. Die generationenübergreifende Wirkung dieses Entwurfs kann am Sonntag
in der Wiener Arena überprüft werden: „You’ll soon be here!“
(Wiener Zeitung, 24./25.9.2011)

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