Donnerstag, Dezember 01, 2011

Blick zurück nach vorn

Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft liegt „neues“ Material von Amy Winehouse vor: Mit "Lioness: Hidden Treasures" erscheint am Freitag das erste posthume Album.

Das Geschäft mit dem Tod hört noch lange nicht auf, wenn die Bestatter, Floristen, Steinmetze und Notare ihr Tagwerk verrichtet haben. Vor allem auf dem Unterhaltungsmarkt ist das meiste Geld erst dann zu verdienen, wenn ein Star nicht mehr ist, dafür nun aber zum Mythos mutiert. Wer früher stirbt, ist länger tot – und bald auch überlebensgroß. Man frage etwa die Rock-’n’-Roll-Witwe Courtney Love, die bis heute recht gut von Kurt Cobain lebt.

Für die längst von einem finanzkräftigen älteren und gern auch nostalgisch gestimmten Publikum abhängige Musikindustrie bedeutet das dank umfangreicher Super-Deluxe-Boxen oder wie aus dem Nichts auftauchender, auf Dachböden in verstaubten Schatztruhen zufällig entdeckter neuer Aufnahmen noch immer gutes Geld. Als Sonderfall gilt in diesem Zusammenhang der US-Rapper 2Pac, nach dessen Tod mehr Alben erschienen sind als zu seinen Lebzeiten.

Im Fall der am 23. Juli viel zu jung verstorbenen Amy Winehouse ist zwar nur bedingt mit neuem Material zu rechnen. Glaubt man einem Artikel des „Guardian“, wird das Plattenlabel der Sängerin ihrem Wunsch Rechnung tragen, einst von ihr selbst zur Veröffentlichung gesperrte Lieder auch weiterhin unter Verschluss zu halten – einmal davon abgesehen, dass auch das erste posthume Album nur zwei neue Songs beinhaltet, die sich auf einem möglichen Nachfolgewerk zu „Back To Black“ (2006) hätten befinden sollen. Wie das ab Freitag in den Regalen stehende „Lioness: Hidden Treasures“ allerdings auch beweist, sollten zumindest noch zahlreiche Coverversionen und Demos in den Archiven schlummern.

Amy Winehouse, die im Zeitalter des obsolet gewordenen Starbegriffs zum richtigen Zeitpunkt zur Stelle war, um mit solidem Handwerk, einer begnadeten Stimme und ihrer letztlich fatalen Neigung zur Selbstzerstörung eine Sonderstellung im Fach einzunehmen, wird sich auch damit wieder an die Chartspitze reihen. Mehr als 10,5 Millionen Einheiten, die von „Back To Black“ allein in den Jahren 2007 und 2008 über den Ladentisch gingen, werden ihren größten Verkaufserfolg dennoch im Diesseits belassen.

Dabei beginnt „Lioness“, das keinesfalls als drittes Album missverstanden, sondern als Zusammenstellung gesehen werden sollte, mit einem Happyend: Während Michel Jackson auf seinem posthum erschienenen Album „Michael“ noch aus dem Grab auf die Skandalpresse schimpfte, eröffnet Winehouse mit einer reggaelastigen Version von „Our Day Will Come“ zu beseelten Vintage-Chören so zuversichtlich wie seit ihrem Debütalbum „Frank“ nicht mehr. Der schmachtend-leicht klingende Retro-Soul von „Between The Cheats“ im Anschluss ist neben „Like Smoke“, für das US-Rapper Nas seine Gesangsspuren beisteuerte, wiederum der einzige neue Song auf dem Album.

Dazwischen setzt es von den alten Weggefährten Salaam Remi und Mark Ronson adäquat produzierte und von der Winehouse-Familie mitausgewählte Songs, die bis zum Jahr 2002 zurückdatieren – wie bei einer von Scat-Gesängen dominierten Deutung von „The Girl From Ipanema“. Als jüngsten Beitrag hingegen hören wir das von orchestralem Soft Jazz mit dem gewissen Scotch-on-the-Rocks-Gefühl dominierte „Body And Soul“, ein noch in diesem Jahr eingespieltes Duett mit Tony Bennett.

Nachdem „Will You Still Love Me Tomorrow?“ The Shirelles auf Tom Jones gestimmt hat und „A Song For You“ Leon Russell in James-Bond-Gefilden wildern ließ, bleibt am Ende die Gewissheit, dass es dieses Album zwar nicht gebraucht hätte, wäre Amy Winehouse noch heute am Leben. Versöhnlich stimmt allerdings, dass die sanft angejazzte Originalfassung von „Wake Up Alone“ stärker ist als die Endversion, die sich auf „Back To Black“ befand – und somit noch einmal das Talent unter Beweis stellt, das Amy Winehouse zweifellos hatte wie leider verschwendete. 

Amy Winehouse: „Lioness: Hidden Treasures“ (Universal) 

(Wiener Zeitung, 1.12.2011)

Keine Kommentare: