Pünktlich zum
Weihnachtsgeschäft liegt „neues“ Material von Amy Winehouse vor: Mit "Lioness: Hidden Treasures" erscheint am Freitag das erste posthume Album.
Das Geschäft mit
dem Tod hört noch lange nicht auf, wenn die Bestatter, Floristen, Steinmetze und
Notare ihr Tagwerk verrichtet haben. Vor allem auf dem Unterhaltungsmarkt ist
das meiste Geld erst dann zu verdienen, wenn ein Star nicht mehr ist, dafür nun
aber zum Mythos mutiert. Wer früher stirbt, ist länger tot – und bald auch überlebensgroß.
Man frage etwa die Rock-’n’-Roll-Witwe Courtney Love, die bis heute recht gut von
Kurt Cobain lebt.
Für
die längst von einem finanzkräftigen älteren und gern auch nostalgisch
gestimmten Publikum abhängige Musikindustrie bedeutet das dank umfangreicher Super-Deluxe-Boxen
oder wie aus dem Nichts auftauchender, auf Dachböden in verstaubten Schatztruhen
zufällig entdeckter neuer Aufnahmen noch immer gutes Geld. Als Sonderfall gilt
in diesem Zusammenhang der US-Rapper 2Pac, nach dessen Tod mehr Alben
erschienen sind als zu seinen Lebzeiten.
Im
Fall der am 23. Juli viel zu jung verstorbenen Amy Winehouse ist zwar nur
bedingt mit neuem Material zu rechnen. Glaubt man einem Artikel des „Guardian“,
wird das Plattenlabel der Sängerin ihrem Wunsch Rechnung tragen, einst von ihr
selbst zur Veröffentlichung gesperrte Lieder auch weiterhin unter Verschluss zu
halten – einmal davon abgesehen, dass auch das erste posthume Album nur zwei
neue Songs beinhaltet, die sich auf einem möglichen Nachfolgewerk zu „Back To
Black“ (2006) hätten befinden sollen. Wie das ab Freitag in den Regalen
stehende „Lioness: Hidden Treasures“ allerdings auch beweist, sollten zumindest
noch zahlreiche Coverversionen und Demos in den Archiven schlummern.
Amy
Winehouse, die im Zeitalter des obsolet gewordenen Starbegriffs zum richtigen
Zeitpunkt zur Stelle war, um mit solidem Handwerk, einer begnadeten Stimme und ihrer
letztlich fatalen Neigung zur Selbstzerstörung eine Sonderstellung im Fach einzunehmen,
wird sich auch damit wieder an die Chartspitze reihen. Mehr als 10,5 Millionen
Einheiten, die von „Back To Black“ allein in den Jahren 2007 und 2008 über den
Ladentisch gingen, werden ihren größten Verkaufserfolg dennoch im Diesseits
belassen.
Dabei
beginnt „Lioness“, das keinesfalls als drittes Album missverstanden, sondern
als Zusammenstellung gesehen werden sollte, mit einem Happyend: Während Michel
Jackson auf seinem posthum erschienenen Album „Michael“ noch aus dem Grab auf
die Skandalpresse schimpfte, eröffnet Winehouse mit einer reggaelastigen Version
von „Our Day Will Come“ zu beseelten Vintage-Chören so zuversichtlich wie seit
ihrem Debütalbum „Frank“ nicht mehr. Der schmachtend-leicht klingende Retro-Soul
von „Between The Cheats“ im Anschluss ist neben „Like Smoke“, für das US-Rapper
Nas seine Gesangsspuren beisteuerte, wiederum der einzige neue Song auf dem
Album.
Dazwischen
setzt es von den alten Weggefährten Salaam Remi und Mark Ronson adäquat
produzierte und von der Winehouse-Familie mitausgewählte Songs, die bis zum
Jahr 2002 zurückdatieren – wie bei einer von Scat-Gesängen dominierten Deutung
von „The Girl From Ipanema“. Als jüngsten Beitrag hingegen hören wir das von
orchestralem Soft Jazz mit dem gewissen Scotch-on-the-Rocks-Gefühl dominierte „Body
And Soul“, ein noch in diesem Jahr eingespieltes Duett mit Tony Bennett.
Nachdem „Will You
Still Love Me Tomorrow?“ The Shirelles auf Tom Jones gestimmt hat und „A Song
For You“ Leon Russell in James-Bond-Gefilden wildern ließ, bleibt am Ende die
Gewissheit, dass es dieses Album zwar nicht gebraucht hätte, wäre Amy Winehouse
noch heute am Leben. Versöhnlich stimmt allerdings, dass die sanft angejazzte Originalfassung
von „Wake Up Alone“ stärker ist als die Endversion, die sich auf „Back To
Black“ befand – und somit noch einmal das Talent unter Beweis stellt, das Amy
Winehouse zweifellos hatte wie leider verschwendete.
Amy Winehouse: „Lioness: Hidden Treasures“ (Universal)

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