Donnerstag, Januar 26, 2012

Fummeln auf dem Moped, schmusen im Ford

Bereits Monate vor ihrem Debütalbum wurde Lana Del Rey als neuer Popsuperstar gefeiert: Nun liegt „Born To Die“ endlich vor.

Wer sich bisher die Frage gestellt haben mochte, warum Lana Del Rey zu ihren mit Elvis Presley und Kurt Cobain bereits recht abwechslungsreich bemessenen Einflüssen auch noch Britney Spears mit ins Spiel bringen musste, wird sich spätestens bei Song Nummer zwei ihres nun vorliegenden Debütalbums „Born To Die“ nicht mehr wundern.

 „Off To The Races“, das den amerikanischen Alptraum als aufrechtes Abstiegsdrama zwischen Spielsucht und Errettungsromantik erzählt, landet nach anfänglichen Soul-Breitseiten, schnalzenden Hip-Hop-Beats und einer Annäherung an großen Pop, wie man ihn von Radio Trallala oder aus dem Supermarkt kennt, bald auch beim kieksenden Barbie-Girl-Gedenkrap. Abteilung Poptrash, Regal Britney, bitte in die unterste Schublade schauen! Diese dem Hip-Hop nachempfundene und für Menschen ohne Singstimme eingeführte Sprechtechnik berief sich ihrerseits auf eine Ära, in der Cheerleader noch Cheerleader, Quarterbacks noch Quarterbacks und die Hornbrillen vom Briefmarkenverein noch die Hanseln waren. Damit ist einem weiteren, genuin amerikanischen Spielfeld im schon zuvor auf pathetische US-Hollywood-Bilder fokussierten „Œuvre“ Lana Del Reys Rechnung getragen – aber auch für die Befürchtung gesorgt, dass man die besten Songs dieser wieder einmal letzten Hoffnung der Musikindustrie bereits vorab im Internet gehört haben könnte.

Ohne das World Wide Web wäre der vor einem knappen halben Jahr eingeläutete Siegeszug der 25-jährigen US-Sängerin gar nicht denkbar gewesen. Schließlich wurde Lana Del Rey allein dank der auf Youtube veröffentlichten, bald durch die sozialen Netzwerke geschickten und dann auch von Bloggern und Mainstream-Medien begrüßten Hits „Video Games“ und „Blue Jeans“ als neuer globaler Pop-Superstar ausgemacht. Unsicher ist – auch angesichts ihrer im kurz nach dem Erscheinen wieder vom Markt genommenen Erstveröffentlichung „Lana Del Ray A.K.A. Lizzy Grant“ im Jahr 2010 –, ob sie damals bereits als solcher aufgebaut wurde oder nach dem Netzerfolg Handlungsbedarf bestand, den Rubel schnellstmöglich rollen zu lassen. Dass angeblich bis zuletzt an „Born To Die“ gearbeitet wurde, spricht aber für die zweite Variante.

Fest steht, dass „Video Games“ und „Blue Jeans“ als kühl gehaltene, von Klavier und Streichern getragene Melodramen mit Lana Del Reys zwischen distanziertem Sprechgesang und auf Gänsehaut abzielendem Hauchen changierender Stimme auch in ihrer sehr spezifischen Formensprache begeisterten. Als Verstärker in Richtung Gesamtkunstwerk arbeitet ihre Erscheinung als erwachsene Lolita aus dem Trailerpark inklusive Hot Pants, Blowjob-Lippen, einer von den 60er-Jahren inspirierten  Desperate-Housewives-Frisur und dem entsprechenden Schlafzimmerblick nachdrücklich zu. Inhaltlich wie ästhetisch wird also auch mit „Born To Die“ auf ein hilfloses männliches Publikum abgezielt, dessen Geist angesichts der Themenführerschaft Lana Del Reys in Sachen Fummeln am Moped und Schmusen im Ford wieder einmal mehr als nur kaufwillig ist. Liebe bis zum Tod, Hingabe bis zur Selbstaufgabe sowie Lust und Leidenschaft als letztmögliches Risikogeschäft in einer berechenbaren Welt stehen auf der Agenda, mit der uns Lana Del Rey lockt – und letztlich um den Finger wickelt.

Wie aber bereits das opulent inszenierte Hochglanzvideo zum Titelsong trotz seines offensichtlich gewollt am Rande zur Persiflage angesiedelten Manierismus nahelegte, haben wir es bei „Born To Die“ über weite Strecken mit einem erstaunlich glatten Stück Pop zu tun, das den schmalen Grat zwischen Anspruch und Formatradio im Torkelgang nimmt. Grundiert auf Hip-Hop-Beats, unterschwelligem Soul und gerne auch zuckrigen Hooklines, ergibt das zwar einige starke Momente und keinen Totalausfall. Eingestreute Trash-Elemente und die beschönigend als homogene Produktion umschriebene mehrfache Wiederholung ein und desselben Schmähs lassen am Ende aber kaum mehr zu, als von einem soliden Album zu sprechen.

 „Million Dollar Man“ hätte übrigens einen schönen, aus dem Reich von Tom Waits gefallenen Sperrstunden-Song abgegeben, wäre er nicht dem Gefälligkeitsdiktat zum Opfer gefallen. Warum etwas wagen, wenn es auch mit deutlich weniger geht?

Lana Del Rey: Born To Die (Universal) 

(Wiener Zeitung, 27.1.2012)

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