"Blues Funeral: US-Ausnahmesänger Mark Lanegan und sein erstes Solo-Album seit acht Jahren.
Für die Kunst, das Publikum in seinen Bann zu ziehen, bringt Mark Lanegan einen entscheidenden Vorzug mit: Allein die Stimme dieses Mannes ist abendfüllend. Ebenso vom Leben gezeichnet wie zahlreiche seiner Lieder, verweist der bebende, von Whiskey und Teer geprägte Bariton des 47-jährigen US-Amerikaners tief hinab in die Grube. Auf dieser Basis lässt es sich nicht nur im lauten Fach kathartisch aufschreien, vor allem auch bei den Balladen ist damit für ein Mehr an Emphase und „authentischem“ wie authentisch vermitteltem Gefühl gesorgt.
Den Ruf eines ehrlichen und aufrechten Arbeiters im Weinberg des Herren verdiente sich Lanegan über einen langen Karriereweg, dem es an Output nie mangelte – und der seinen Ausgang zu Mitte der 1980er-Jahre mit seiner Band Screaming Trees im Umfeld der sich formierenden Grunge-Bewegung in Seattle nahm. Im Gegensatz zu Nirvana, deren Vorstand Kurt Cobain sich später auch auf Lanegans 1990 veröffentlichtem Solo-Debüt „The Winding Sheet“ beteiligen sollte, brachten es die Screaming Trees zwar nicht zu großem kommerziellen Erfolg. Allerdings ist der Band, die Lanegan als Sänger nach außen vertrat, dank ihrer sieben binnen nur zehn aktiver Jahre im Geschäft veröffentlichten Alben von „Clairvoyance“ bis „Dust“ noch immer ein treuer Liebhaberkreis im Dank verbunden.
Solo begann der nach einer schwierigen Jugend mit erheblichen Suchtproblemen konfrontierte Sänger bald, sich von den forschen Tönen seiner frühen Karriere freizuspielen und zunehmend auf von akustischen Elementen getragene Singer/Songwriter-Alben zu setzen. Als Ausgleich dienten ihm zahlreiche Kollaborationen, deren berühmteste vermutlich in einem Engagement für die Queens Of The Stone Age zu finden ist. Für Josh Hommes genialische Stoner-Rock-Unternehmung trat Lanegan einen Teilzeitjob als Vokalist an und tourte vor allem als deren fixes Live-Mitglied durch die Länder. Später verdingte er sich mit Greg Dulli auch noch als The Gutter Twins oder bei dessen Twilight Singers sowie im Verbund mit Isobel Campbell, mit der er, lose orientiert am Duo Lee Hazlewood und Nancy Sinatra, drei schöne, vom inszenierten Aufeinandertreffen eines „grumpy old man“ mit der Unschuld vom Lande lebende Alben einspielte.
Elektronischer Zierrat
Zuletzt wiederum wagte sich Lanegan auf den programmatisch betitelten Alben „It’s Not How Far You Fall, It’s The Way You Land“ und „Broken“ als Gastsänger des britischen Produzentenduos Soulsavers auch in betont elektronische Gefilde vor – und wurde just von Depeche Mode als Support für deren Europatour im Jahr 2009 gebucht, was auch zu einem Auftritt in der Wiener Stadthalle führte. Einige dieser neuen Erfahrungen flossen nun auch in „Blues Funeral“ ein – es ist das erste Soloalbum Mark Lanegans seit immerhin acht vollen Jahren.
„Blues Funeral“ unterscheidet sich bereits insofern von seinen Vorgängern, als Lanegan die Songs dafür erstmals nicht nur an der Gitarre, sondern vor allem mit Keyboards und einer Drummachine komponierte. Das führt, neben einem grundsätzlichen Mehr an elektronischem Zierrat – wie etwa beim ausklingenden Sieben-Minuten-Mantra „Tiny Grain Of Truth“ oder dem hörbarer U2-Anklänge zum Trotz gar nicht üblen „Harborview Hospital“ –, vor allem zu einem sehr überraschenden Song: Mit „Ode To Sad Disco“ hören wir durchaus klassischen Elektropop, der Lanegan auch alles andere als schlecht ansteht – ohne aber zu verleugnen, dass die Kernkompetenzen dieses Mannes anderswo liegen.
Beglückend räudig
Aufgenommen in Hollywood mit Alain Johannes als Produzent und unter Mithilfe von alten Freunden wie eben Greg Dulli oder Jack Irons, steht am Anfang dieser sehr kurzweiligen 56 Spielminuten mit dem krachenden Bluesrock von „The Gravedigger’s Song“ der beglückend räudige Sound von Lanegans „Bubblegum“-Album aus 2004, der direkt in den verschleppten, mit staubtrockener Wüstengitarre gegebenen Göttersong „Bleeding Muddy Water“ übergeht.
Zum Stampfrock von „Riot In My House“, einer nicht restlos überzeugenden Bluesrock-Schablone titels „Quiver Syndrome“ oder dem trotz schöner Talking-Heads-Gesänge letztlich ins Nichts führenden „Leviathan“ reicht Lanegan mit dem Abgesang „St. Louis Elegy“ dann auch noch eine Hommage an Ennio Morricone, den Altmeister des Spaghettiwestern. Dabei finden auch Lanegans heute in bester Nick-Cave-Manier verstärkt auf biblische Motivik setzende Songtexte einen heimlichen Höhepunkt: „Down here the winter will cut you quick / These tears are liquor and I’ve drunk myself sick.“
Mark Lanegan Band: Blues Funeral (4AD)
(Wiener Zeitung, 28./29.1.2012)
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