Mittwoch, März 24, 2010

An ihrem Lärm sollt ihr sie messen!

Eine Ergänzung zu Mathias Zieglers Artikel über die Neue Deutsche Welle (Hier nachzulesen)

Als Gabriele Susanne Kerner alias Nena in den frühen 1980ern mit Hits wie "Nur geträumt" oder "99 Luftballons" zum Schlagerkarussell in die Dorfdisco bat und sich angesichts ihrer Konzerte in England und der dort bereits sprießenden Kulturdisziplin des Ladyshavings die zwingende Frage stellte, ob denn östlich der Mauer nicht nur Oberlippenbärte hoch im Kurs stünden, durfte man eines nicht vergessen: Die nach außen hin nun auch über Vertreter wie Trio ("Da da da") oder Peter Schilling ("Major Tom") wahrgenommene Popmusik des Landes hatte fruchtbare, bisweilen radikale und im besten Fall bis heute nachwirkende Jahre hinter sich.

Nachdem Bands wie Can oder die vor allem im Ausland wahrgenommenen Neu! um die einstigen Streithansln Michael Rother und Klaus Dinger schon ab 1968 mit entfesseltem Krautrock für Furore gesorgt und Kraftwerk als vermutlich bis heute wichtigste deutschsprachige Band Avantgarde mit Elektro-Pop kurzgeschlossen hatten, um Techno Tür und Tor zu öffnen, schufen Punk und dessen Nachwehen in Post-Punk und New Wave neue, ungeahnte Möglichkeiten: nachzulesen auch in Jürgen Teipels Oral-History-Buch "Verschwende deine Jugend", das sich als "Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave" mit Fokus auf die Jahre 1976 bis 1983 versteht. In kurz von den Saiten gerissenen Stakkato-Gitarren, wuchtigem Bassspiel, wie Donnergroll niederprasselndem Schlagzeug und gern beigestellter Elektronik fand der ewige Sturm und Drang der Jugend seinen adäquaten Widerhall. Das klang kalt, distanziert, laut, anarchisch sowie nicht selten altklug und großmäulig – und trieb Deutschland ganz nebenbei den letzten Nachkriegsmief aus: eins, zwei, dresch.

"Sei schlau, klau beim Bau!"


Während etwa die Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) ihren mehrdeutig aufgeladenen Elektro-Punk zu brutalen wie brutal tanzbaren Ergebnissen führte, sorgten Bands wie S.Y.P.H. ("Zurück zum Beton") oder Abwärts ("Computerstaat", "Amok Koma") mit zornigen Punk-Miniaturen im Zeichen eines munteren Dilettantismus für die Erkenntnis, dass Kunst nicht zwangsläufig von Können kommt. Im Zweifelsfall muss man einfach nur wollen.

Niemand stellte das eindrucksvoller unter Beweis als die Einstürzenden Neubauten, die unter dem Motto "Sei schlau, klau beim Bau!" zur Klangerzeugung auf Kompressoren, Vorschlaghämmer und Schleifmaschinen zurückgriffen – eine vor allem für Konzertbesucher in den ersten Reihen körperfeindliche Angelegenheit, die Blixa Bargeld im Amphetamin-Delirium mit Katzengesang untermalte. An ihrem Lärm sollt ihr sie messen!

Dass Gründungsmitglied FM Einheit die Band mit der Begründung verließ, dass die Neubauten nicht mehr einstürzen würden, als diese sich in den 1990er Jahren endgültig für den Song geöffnet hatten, lässt aber auch einen Schluss zu: Kunst kommt im Zweifelsfall noch immer von Konsequenz. Und für die Jungen gibt es jetzt 1000 Robota.

(Wiener Zeitung, 25.3.2010)

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