Samstag, Mai 08, 2010

Balkonkonzerte und Dosenbier

Start des Popfest Wien: Ein voller Erfolg, trotz einiger Schönheitsfehler.

Dass Gott ein DJ ist, wie die britische Band Faithless einst festhielt, und doch nicht der alte Mann mit Bart, der nach langen Jahren im Dienst gern seine Ruhe hätte – am Donnerstag will man es glauben. Nachdem man sich um das Popfest Wien, das noch bis Sonntag am Karlsplatz größtenteils unter freiem Himmel über die Bühne geht, aufgrund der schlechten Wetterlage bereits Sorgen machen musste, lichtet sich just am Eröffnungstag der Himmel. Und lockt das solchermaßen erleichterte Partyvolk aufs Areal.

Bereits vor dem ersten Konzert bietet sich ein Bild, das dem ersten Popfest Wien Erfolg verspricht. Immerhin bestand die Absicht des Festivals auch darin, das tendenziell vom Indie-Segment bestimmte Pop-Schaffen des Landes erstmals einem größeren Publikum vorzustellen. Bereits um 18 Uhr herrscht reges Treiben; Freunde kommen am Teich zusammen und genehmigen sich trotz des gastronomischen Angebots vor Ort selbst mitgebrachtes Dosenbier. Tatsächlich wissen einige nicht, wer Clara Luzia und Bunny Lake sind, die später auf der sogenannten Seebühne konzertieren. Andere wiederum sind gespannt, was "sie", Luzia, denn "diesmal spielen wird".

Leicht hat es die als Maria Humpel geborene Sängerin dann aus mehreren Gründen nicht. Noch bei Tageslicht muss sie mit ihrer Band eröffnen, der Sound ist zu leise und schlecht abgemischt, und die kränkliche Sängerin bittet um Entschuldigung ob ihrer angeschlagenen Stimme. Während hunderte Besucher am hinter der Bühne gelegenen Teich sitzen bleiben, wo leider keine Boxen aufgestellt wurden, bekommen die Besucher vor der Bühne nur den Haarschopf der Sängerin zu Gesicht – die Plattform wurde zu niedrig erbaut. Davon weitestgehend unbeeindruckt, gefällt Luzia mit ihrem zuletzt auch opulenter tönenden Indie-Pop. Wir hören mit "Tidal" oder "Queen Of The Wolves" zartes wie zart melancholisches Songwriting, das sich in hymnische Kleinode mit zuarbeitenden Streicher- und Bläserarrangements entlädt.

Hell, Baby! mit Polonaise


Die Kunst der feinen Klinge ist Bunny Lake wiederum fremd. Die Band um FM4-Mann Christian Fuchs und Sängerin Suzy On The Rocks böllert sich mit zünftigem Elektro-Pop durch die Clubs zwischen Sinabelkirchen und Berlin. Das Gelände geht jetzt förmlich über, flotte Disco-Dancer nicken im Takt, sogar Polonaise wird getanzt. Der Wind weht Christian Fuchs den Steirer aus der Stimme, die Synthies erinnern alle Freunde des Praters an die Begleitmusik ihrer Autodrom-Fahrten. "Disco Demons" wandeln "Into The Future" und finden dort "Hell, Baby!". Mehrfach reagieren Vorbeitanzende mit einem begeisterten "Geil!". Auch gehört: "Des is denan ihr größtes Konzert!" – "Mit Sicherheit. Gemma weida!"

Seinen Höhepunkt findet der Abend im Wien Museum, wo man sich für das Konzert von Anna Kohlweis alias Paper Bird etwas Besonderes ausgedacht hat. Die 26-jährige Kunststudentin spielt, begleitet von ihrem Chor, hoch droben am Balkon. Und weht uns filigrane Wohnzimmer-Kompositionen, die sich durch eine hierzulande kaum erreichte Eigenständigkeit auszeichnen, um die Ohren. Mit dem berührenden "Sentimental Voodoo" präsentiert sie zudem ein bisher unveröffentlichtes Stück, in dem verhaltene Gitarren, Glockenspiel und unaufdringliche Laptop-Beats einander umgarnen. Sir Tralala, der im Inneren des Museums ebenfalls am Balkon singt, wird bei seinem begnadeten Anti-Konzert leider Opfer der Raum-Akustik. Ganz generell gilt für das Popfest Wien aber schon jetzt: Im nächsten Jahr bitte wieder!

(Wiener Zeitung,8./9.5.2010)

Keine Kommentare: