Samstag, Februar 26, 2011

Waldhörner blasen zur Schlacht

PJ Harvey widmet sich auf „Let England Shake“ der Politik: Wo früher das Seelenleben gesichtet wurde, sind nunmehr Krieg und Heimat ihr Thema.

Als Frohnatur ist PJ Harvey zeit ihrer Karriere noch nicht in Erscheinung getreten. Seit die am 9. Oktober 1969 in der südwestenglischen Grafschaft Somerset geborene Sängerin in den frühen 1990er-Jahren erstmals vorstellig wurde, konzentriert sich ihr Œuvre vor allem auf die Vermessung schattseitiger Seelenlandschaften und deren mannigfaltiger Regionen. Mit Nabelschauen des Inneren hat es die Sängerin weder sich selbst noch ihrem Publikum besonders leicht gemacht, ging es doch darum, den Schmerz nicht nur zu vertonen, sondern ihm solchermaßen ein Forum zu geben. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Musikalisch ging es PJ Harvey dabei facettenreicher an, als es ihr mancher Kritiker zugestehen mag – auch wenn sich ihr schon immer vom Plattitüdenverdacht befreites Credo, sich nicht wiederholen zu wollen, erst im sogenannten Spätwerk vollends manifestierte. Während es Harvey auf frühen Arbeiten wie „Dry“ oder dem von Steve Albini produzierten „Rid Of Me“ zunächst spartanisch instrumentiert angehen ließ, um den auf Grunge gestellten Zeitgeist mit bluesinfiziertem Punk-Gestus aufzuladen, demonstrierte sie mit „To Bring You My Love“ schon im Jahr 1995 auf einem wesentlich ausproduzierteren Album, dass man das zart-elegische Albtraumfach auch in die Charts bringen kann. Solchermaßen in der Öffentlichkeit angekommen, gelang Harvey fünf Jahre später mit dem etwas zuversichtlicheren „Stories From The City, Stories From The Sea“ und Hit-Singles wie „A Place Called Home“, „Good Fortune“ oder „This Is Love“ der endgültige Durchbruch. Mit für ihre Verhältnisse ungewohnt polierten Songs kehrte sie aus einer Phase zurück, die auch von ihrer Liaison mit dem australischen Barden Nick Cave geprägt war. Cave selbst wiederum wechselte endgültig vom mythologisch umrahmten Endzeit-Rock-’n’-Roll ins stille Balladenfach.

Unheimlich poetisch

Vom Erfolg unbeeindruckt, ließ sich Harvey aber nicht auf eine zwecks Kapitalakkumulation vielversprechende Ehe mit dem Mainstream ein – im Gegenteil. Ihr Schaffen seither ist, bewusst oder unbewusst, von einer Verweigerungshaltung geprägt, die man vor diesem Hintergrund als durchaus erstaunlich bezeichnen darf. Nachdem Polly Jean den Dienst an der Gitarre kurzzeitig quittierte, um sich für den ätherisch-somnambulen Insel-Folk von „White Chalk“ 2007 am Klavier auszudrücken, legte sie es auf dem gemeinsam mit ihrem künstlerischen Seelenverwandten John Parish veröffentlichten „A Woman A Man Walked By“ zuletzt widerspenstiger an denn je. Nicht nur womöglich etwas spät wachgerüttelt durch das britische Militärengagement in Afghanistan, überführte Harvey ihr Interesse an der Tagespolitik nun erstmals auch in ihre Kunst. Mit „Let England Shake“ zeugt aktuell eines ihrer besten Alben davon.

Als Augangspunkt der gemeinsam mit alten Weggefährten wie dem wunderbaren, ehemals bei Nick Cave angestellten Multi-Instrumentalisten Mick Harvey, mit dem Polly Jean übrigens keine Verwandschaft verbindet, der Produzentenkoryphäe Flood und besagtem John Parish im britischen Dorset teilweise live eingespielten Arbeit dienten Harvey Überlegungen zu ihrer Heimat und deren kriegerischer Vergangenheit wie Gegenwart. Wie die Songwriterin in Interviews nicht müde wird zu betonen, wollte sie diese nicht in Form von parolenhaften Protestsongs mit Hang zum erhobenen Zeigefinger kanalisieren, sondern überwiegend aus Sicht der Opfer über die Auswirkungen von Gewalt erzählen. Das gelingt Harvey auf eine unheimliche wie poetische Weise, die Befürchtungen bezüglich eines Bono-Voxismus erst gar nicht zulässt. Stolz erzählt die Sängerin derzeit also in Interviews auch darüber, in der selben BBC-Sendung aufgetreten zu sein wie Großbritanniens Ex-Premier Gordon Brown. Während dieser den Afghanistan-Einsatz seines Landes verteidigte, beendete Harvey die Show mit einer Darbietung von „Let England Shake“, die nicht zuletzt als Abgesang auf die Politik Browns gelesen werden kann. „The West’s asleep. Let England shake. Weighted down with silent dead. I fear our blood won’t rise again.“ Und: „England’s dancing days are done!“



Die Bilder, die PJ Harvey nun mit ihren Texten zeichnet, künden von Aussichtslosigkeit und Verzweiflung. „What is the glorious fruit of the land?“, fragt sie an einer Stelle, um sich die Antwort gleich selbst zu geben: „The fruit is orphaned children.“ Wie auch bereits Songtitel wie „Hanging In The Wire“, „On Battleship Hill“ oder „In The Dark Places“ verraten, ist der Tod dabei allgegenwärtig: „I have seen and done things I want to forget; soldiers fell like lumps of meat, blown and shot out beyond belief. Arms and legs were in the trees”, gibt Harvey aus der Sicht eines Soldaten zu Protokoll. Historisch geht sie dabei bis zum Ersten Weltkrieg und der Schlacht von Gallipoli zurück, die als eine der blutigsten Schlachten nicht nur ihrer Zeit in die Geschichte einging.

Das Klangbild des Albums wird von hallverhangenen Gitarren ebenso bestimmt wie von Harveys Vorliebe für Autoharp und Zither. Das überwiegend mit dem Beserl gestrichene Schlagzeug hagelt bei „Bitter Branches“ wie Munition auf die Hörer ein, dazwischen werden Klavier und Fender Rhodes aufgetragen. Vor allem aber die Bläser – Harvey selbst steuert Saxofon bei – spielen eine tragende Rolle. Nicht von ungefähr blasen bei „The Glorious Land“ Waldhörner gleichermaßen zur Schlacht wie zum Jüngsten Gericht.

Obwohl oder gerade weil das Album eher als Einheit denn über einzelne Songs funktioniert, sind die „Hits“ schnell ausgemacht: „The Words That Maketh Murder“ glänzt mit dem Lumpen-Rock vom Zuschnitt der Bad Seeds, während Harvey bei „The Last Living Rose“ zärtlich-poetisch klingt und bei „Written On The Forehead“ mit einem Sample des jamaikanischen Reggae-Meisters Winston Holness alias Niney the Observer in ihrem Werkkatalog künstlerisches Neuland erobert.

Das alles lässt nach knapp vierzig Minuten den Schluss zu, nichts weniger gehört zu haben als ein Zeugnis davon, was PJ Harvey in ihren besten Momenten schon immer war: sowohl originär als auch kompromisslos. Dankeschön!

PJ Harvey: Let England Shake (Universal)

(Wiener Zeitung, 26./27.2.2011)

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