Jazzfest Wien: Am Wochenende bespielten Seal und Bryan Ferry die Staatsoper
Bryan Ferry muss nicht tanzen – das erledigen die Mädchen für ihn. Der Mann, der für die Coverfotos seiner Alben schon immer Models in eindeutiger Pose zur Schau stellte, lässt sich diesbezüglich nicht nur im Video zu seiner Single „You Can Dance“ aus 2010 einschlägig behübschen. Auch seinen Auftritt in der Wiener Staatsoper musste man, die Stellung des heute 65-Jährigen als Beau ohne Ablaufdatum miteingedacht, am Sonntag als Installation betrachten.
Dort wurde vor einer mit Astralkitsch und Orgienmysterienästhetik bestrahlten Leinwand das eine offensichtlich: Der Schwerenöter von einst ist auch im Alter noch ein spitzer Lumpi. Während Ferry, dandyesk mit der Hand am Haupthaar, sich selbst wie freilich uns allen gefiel, tanzten im Hintergrund zwei als Ausdruckstänzerinnen verkleidete Models im roten Paillettenkleidchen. Die Mannequins im Vordergrund unterstützten Ferry vokal – geschenkt, dass man es bei seiner Saxofonistin mit nichts weniger zu tun hatte als mit einer Schönheit auf zwei sehr langen Beinen.
Original-Interpretationen
Vor diesem Setting, das wie aus Roman Polańskis die gute Gesellschaft an den Abgrund führenden Filmen „Frantic“ oder „Bitter Moon“, ergänzt um einen Hauch von David Lynch, entnommen schien, bot Ferry einen Querschnitt seines Schaffens: Von den Anfängen mit Roxy Music, als diese die Postmoderne entdeckten, bis hin zu deren Spätphase mit zwischen Kitsch und Softporno errichteten Stücken wie „Avalon“.
Dass Ferry in seiner eher gemächlichen Solokarriere mit eigenen Songs geizte und sich vor allem als Interpret betätigte, schlug sich live in zahlreichen Coverversionen nieder. Wobei Ferry weder John Lennon („Jealous Guy“), Neil Young („Like A Hurricane“) noch Bob Dylan tatsächlich interpretierte, sondern ihnen mit nahe am Original gebauten Coverversionen vielmehr die Ehre erwies. Abstrahiert wurde lediglich „I Put A Spell On You“, bei dem Ferry auf das schwere Gebell von Screamin’ Jay Hawkins verzichtete.
Die Höhepunkte des solierfreudigen Sets fanden sich im Material aus Ferrys Album „Boys And Girls“ von 1985, aus dem vor allem das für die Nachtschiene geeignete „Don’t Stop The Dance“ hervorstach, sowie in protoypischen Roxy-Songs: Das trockene „Love Is The Drug“, das theatralische „Bitter Sweet“, das zappelige „Editions Of You“.
Am Tag davor bekam man es am selben Ort mit Seal zu tun. Der britische Barde, von dem man in den letzten Jahren vor allem in der Yellow Press las, weil er sich mit Heidi Klum 2005 doch erheblich verheiratete, legte es gleich zu Beginn tanzbar an. Entgegen seinem Ruf als Faserschmeichler im Zeichen der als Sulz mit Öl servierten Kuschelballade verschrieb sich der 1963 geborene Sänger über weite Strecken dem Groove, für den eine achtköpfige Band sorgte, die bei den houseinfizierteren Songs auf gleich zwei nicht hörbare Modern-Talking-Gitarren zurückgriff.
Seal, der die wasserstoffblonden Damen in Bühnennähe ansang, führte durch ein abwechslungsreiches Set aus seinem aber kaum zwingenden Œuvre. Grundsätzlich angenehme und daher im Formatradio bis heute nicht umzubringende Klassiker wie „Crazy“, sein balladistischer Welthit „Kiss From A Rose“, bei dem Seal das Publikum charmant aufforderte, Walzer zu tanzen, bis hin zu „Weight Of My Mistakes“ vom aktuellen Album „Commitment“ wurden dankbar angenommen.
Kuscheln mit Heidi
Dazu litt sich Seal durch James Brownes chauvinistischen Evergreen „It’s A Man’s, Man’s, Man’s World“ sowie durch ein Soul-Medley, bei dem er der Innigkeit, die im Vorjahr mit Al Green ein großes Original aus dem Stand erreichte, auch auf den Knien nicht nahe kam.
Auf der Videowall sah man Seal gegen Ende beim Turteln mit Heidi. Dann reichte es. Ansonsten aber: sehr sympathisch!
(Wiener Zeitung, 5.7.2011)
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