Die britisch-tamilische Musikerin M.I.A. gastierte mit ihrem politischen Weltensound nun auch in Wien.
Beginnt ein Konzert mit Sirenengeheul, rhythmisch in die Musik gemischtem Schusswaffengebrauch, ratternden Kettensägen, über die Videowall auf uns zufliegenden Invasions-Helikoptern und hektisch verwackelten Zeugnissen von Polizeigewalt, so hat sich vermutlich Mathangi Arulpragasam eingefunden.
Wie man sich am Dienstag im zumindest anfänglich zum Krisengebiet umgebauten Gasometer überzeugen konnte, gilt die als M.I.A. bekannte Rapperin zu Recht als Ausnahmekünstlerin zwischen den Polen Partytanz und Politdiskurs.
Die 1975 als Tochter eines Freiheitskämpfers der tamilischen Minderheit in Sri Lanka geborene Sängerin, die nach Ausbruch des Bürgerkrieges ins indische Chennai geflüchtet und als Elfjährige schließlich in London gestrandet ist, bemühte sich über den Umweg eines Kunststudiums schon früh an der Groovebox, ihre Biografie als gebrandmarktes Kind musikalisch adäquat einzufangen.
Stroboskopgewitter und Augenkrebs
Was M.I.A. auf Alben wie "Arular", "Kala" und dem heuer erschienenen "Maya" perfektionierte, ist ein eklektischer Culture-Clash aus traditionellen und modernen Klängen mit Neigung zum Störgeräusch: Hip-Hop, Grime, Techno, Dancehall und jede Menge Unterhaltungselektronik treffen hier auf mittels Field-Recordings eingefangene fernöstliche, südamerikanische und afrikanische Volksmusiken.
Aufgrund von Texten und Videos, die der Zensur zum Opfer fielen, weil M.I.A. ihren Widerstandsgeist als anwaltschaftliche Rapperin für die Unterdrückten der Welt mit jenem der PLO verglich oder sie zuletzt im Video zu "Born Free" auf explizit zur Schau gestellte Gewalt setzte, wurde der Musikerin zwar schon immer Kalkül vorgeworfen. Persönliche Angriffe, zuletzt etwa ob ihrer Hochzeit mit einem US-Milliardärs-Sprössling und der damit verbundenen Glaubwürdigkeitsfragen, fegte M.I.A. mit "Maya" nun aber nachdrücklich vom Tisch. Nach der Babypause zeigte sich die Musikerin auch über einen bei Atari Teenage Riot abgeschauten Stromgitarrengebrauch vermutlich härter denn je.
Live nur unterstützt von einer DJane, einer Schlagzeugerin und zwei Tänzern, brachte M.I.A. ihre von einer als Rednerpult gestalteten Schaltkanzel herab mit Folgetonhorn und Konsolensounds befeuerten Songs zum gemeinschaftlichen Tanz durch die im Stroboskopgewitter blinkende Weltendisco.
Das wahlweise von tribalistischen oder modernistischen Beats zusammengehaltene Set, in dem die vorwiegend auf Parolen zugespitzten Botschaften Arulpragasams aber zunehmend untergingen, entführte vor auf Augenkrebs gepolten Visuals von frühen Meisterwerken wie "Galang" und "Bucky Done Gun" über die karnevalistische Hitze von "World Town" hin zum bei den Synthie-Punks Suicide entlehnten "Born Free". Davor bereits tanzte M.I.A. durch die Gasometerhalle, ließ sich das Publikum auf die Bühne holen und unterstrich auch trotz des abrupten Endes nach ihrem Hit "Paper Planes" und einer Nettospielzeit von nur gut einer Stunde: Mehr ist vom Konzertjahr 2010 nicht mehr zu erwarten. Vielen Dank und: Rap on!
(Wiener Zeitung, 2.12.2010)
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