Freitag, Dezember 10, 2010

Lauter die Kassen nie klingeln

Christkindlmarkt Pop – Umsatz wird vor allem mit Best-of-Zusammenstellungen und Weihnachts-CDs gemacht.

Im letzten Jahr also hat es Bob Dylan gewagt: Der Säulenheilige des Rock ’n’ Roll – ausgerechnet! – veröffentlichte mit "Christmas In The Heart" ein Album mit 15 Interpretationen klassischer Weihnachtssongs – von "Little Drummer Boy" bis hin zu "O’ Little Town Of Bethlehem". Kategorie: Wertlose Kunst. Abteilung: Braucht kein Mensch.

Bob Dylan wurde dafür tendenziell mit Samthandschuhen besprochen. Subtext: Der alte Mann darf das, auch wenn es blöd ist. Tatsächlich legitimierte sich das Album nicht durch seinen künstlerischen Mehrwert, sondern durch die Erlöse, die Dylan der US-Hilfsaktion "Feeding America" zur Verfügung stellte.

Dylan, dessen Weihnachtsalbum als bloßes Gerücht über Jahre hinweg als Treppenwitz galt, bis es schließlich zu nämlichem wurde, reihte sich damit in eine seltsame Riege ein. Immerhin sind derlei Veröffentlichungen ansonsten glatteren Mainstream-Koryphäen vorbehalten. Siehe "Celine Dion: Ihre schönsten Weihnachtslieder", das heuer auf den Weihnachtsmarkt geschickte Album "Merry Christmas II You" der US-Chanteuse Mariah Carey (auf der sie sich teils den gleichen Liedern widmet wie Dylan) und ähnliche Geschenke für Menschen, die man nicht mag.

Ganz abgesehen davon, dass der Großteil des Weihnachtsgeschäfts im Bereich Pop ohnehin mit auf Nummer sicher gehenden Wiederveröffentlichungen und Best-of-Zusammenstellungen ("Best of Nena", "The Best of Nelly Furtado", "Pink – Greatest Hits.. . So Far!!!") erzielt wird und heuer mit dem "neuen" Album von Michael Jackson ("Michael" – Sony Music, zu erwerben ab Dienstag) zusätzlich belebt werden soll, fällt auf, dass nur wenige genuine Pop-Weihnachtssongs Berühmtheit erlangten. Während Bob Geldof und Midge Ure mit ihrem von Mainstream-Stars wie U2 bis hin zu Phil Collins zugunsten der Hungerhilfe Äthiopiens eingesungenen "Do They Know It’s Christmas?" im Dezember 1984 die Charts dominierten – um damit Wham! und deren Hadern "Last Christmas" die Nummer 1 zu verwehren –, ist vor allem noch "Feliz Navidad" des puertorikanischen Songwriters José Feliciano zu nennen. Ansonsten aber behielt es sich das Weihnachtsfest als eine der letzten (christlichen) Bastionen familiär-traditioneller Feste vor, sich auch musikalisch traditionell-konservativ umrahmen zu lassen. Siehe dazu vor allem auch die (internationale) Erfolgsgeschichte des salzburgerischen Klassikers "Stille Nacht".

Was nicht vordergründig, aber auch damit erklärt werden kann: Pop-Weihnachtslieder gelten als definitiv uncool. Es wundert also nicht, dass ausgerechnet die britischen Weichspüler Coldplay mit "Christmas Lights" dieser Tage zu den Letzten gehören, die keines Besseren belehrt werden konnten. Im Gegensatz zu einem ganz anderen Kaliber aber dürfte der Song bald vergessen sein.

Dauerbrenner mit Welle

Es passiert jährlich, meistens im Supermarkt, deutlich zu lange vor Weihnachten und ohne Vorwarnung: "Last Christmas" beginnt ohne Vorspann, ohne einläutendes Glockengebimmel – nicht einmal eine Orgel kündigt den Song an, so wie es später bei George Michaels Hit "Faith" (in quasi-sakralem Gestus) der Fall sein sollte: Nur die markanten Synthieflächen und etwas Bass gesellen sich zum Beat – und bilden das reduzierte Grundmuster eines ambivalenten Stücks Popgeschichte. Nicht nur dem Publikum ist "Last Christmas" wahlweise Fluch oder Segen. Auch der Song-Autor beißt sich an dieser Geschichte die (Gold-)Zähne aus.

Es waren die 1980er-Jahre. George Michael und Andrew Ridgeley definierten als Wham! den Yuppie-Pop einer Dekade. Über Songzeilen wie "You can have my credit card, baby – But keep your red hot fingers off my heart" und Musikvideos zwischen auf Pudel gepolten Dauerwellen und weißen Badetangas darf zwar auch noch heute gelacht werden. Wie Songs wie "Freedom" oder "Everything She Wants" bereits andeuteten, wuchs mit George Michael aber auch ein begnadeter Songwriter heran, der es verstand, sein grundsätzlich im (weißen) Mainstream verhaftetes Pop-Ideal mit "schwarzen" Musiken, allem voran Funk und Soul, anzureichern.

Stigma und Geldsegen

Als der am 25. Juni 1963 als Georgios Kyriakos Panayiotou in London geborene Sänger "Last Christmas" schrieb, war er gerade 22 Jahre alt – jung genug, um seinen jugendlichen Weltschmerz in einen (naseweisen) Schmachtsong zu retten: "Last christmas / I gave you my heart / But the very next day you gave it away / This year / To save me from tears / I’ll give it to someone special." Im dazugehörigen Video, gedreht im schweizerischen Alpinort Saas Fee, gehörte George Michael das einzige gebrochene Herz inmitten einer von feiertäglicher Hüttengaudi bestimmten Bobo-Idylle. Vielleicht ahnte er es bereits: Der bis heute jährlich im Dezember als bekanntestes, neuzeitliches "Weihnachtslied" in den Charts rangierende Hadern (derzeit auf Platz 45 in Österreich) wurde nicht nur früh mit einer Plagiatsklage konfrontiert.

Wegen Ähnlichkeiten zu "Can’t Smile Without You" von Barry Manilow einigte man sich außergerichtlich. Generell fiel es George Michael schwer, sich vom frühen Hit zu emanzipieren. Auch, als er bereits im ernsten Fach reüssierte, blieb er für viele bloß der Typ, der "Last Christmas" verbrochen hatte.

Allerdings: Als alleiniger Songwriter hatte Michael schon mit diesem Song ausgesorgt. Auch das muss man wissen, wenn am Ende des Musikvideos das Insert erscheint: "Merry Christmas and Thank You!"

(Wiener Zeitung, 11./12.12.2010)

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