Am Samstag eröffnet das Nova Rock den Reigen der heimischen Groß-Festivals.
- Eine Festivalgeschichte
Wir schreiben das Jahr 2006. Paul ist in seiner Entwicklung in einer entscheidenden Phase angelangt. Die Phase ist schwierig. Die Schule ist blöd. Paul ist fünfzehn Jahre alt, hat keine Freundin und auch – noch! – kein Moped. Dafür hat er in den letzten Monaten den Rock ’n’ Roll für sich entdeckt. Der ist laut, wild, lässig und hat nichts mit dem Alltag zu tun. Schwer angesagt ist in dieser Hinsicht vor allem der britische „Jack and coke“-Vernichter Lemmy Kilmister und der Bubenrock seiner Band Motörhead, für den Pauls Mutter nur einen Kommentar übrig hat: „Dreh! Das! Ab!“ Paul macht lauter. Jetzt! Erst! Recht!
Auch, wenn es Paul nicht wirklich bewusst ist: In Österreich stößt das sogenannte Eventgeschäft erst jetzt in bislang ungeahnte Dimensionen vor. Während die Hippies in den USA schon in den späten 60er-Jahren auf Rockgroßereignissen gemeinsam an der Friedenspfeife gesogen hatten – in der Supplierstunde wurde Paul erst kürzlich ein Video über das Woodstock-Fest vorgespielt, wobei ihn vor allem ein Gitarrist namens Jimi Hendrix nachhaltig beeindruckte –, sollten in Pauls Heimatland die Uhren auch in dieser Hinsicht langsamer ticken. Zwar gab es im burgenländischen Wiesen schon ein Jazzfest, als Paul noch mit den Mücken flog, und in den 90er-Jahren mit auf dem gleichen Areal ausgetragenen Veranstaltungen wie dem Forestglade oder dem Two Days A Week Rock ’n’ Roll in überschaubar gehaltenem Rahmen. Erst in den Nuller-Jahren setzten sich mit dem FM4-Frequency-Festival oder eben dem Nova Rock Großfestivals durch, die weit über eine Sommerfrische mit Musik hinausgehen sollten.
Vor allem auf den staubigen Feldern der pannonischen Tiefebene, inmitten der burgenländischen Peripherie, entsteht mit dem erstmals im Jahr 2005 ausgetragenen Nova Rock ein Schlachtfeld für Bubendummheiten. Bubendummheiten von selbstverständlich bescheidenem Niveau. Paul hat davon gehört und will sich diesen Spaß nicht entgehen lassen. Heuer sind außerdem Lemmy Kilmister und Motörhead mit dabei, zudem bekommt es Paul mit Metallica, Alice in Chains und Guns N’ Roses zu tun. In der Schule werden Hansi, Alex und Stefan lukriert. Man fährt gemeinsam nach Wien und macht dort bei Pauls älterem Bruder Halt, der für junge Stürmer und Dränger autobiografisch wie historisch gesehen großes Verständnis aufbringt und die Freunde mit dem Auto zum Areal fahren wird. „Und sofort wieder weg.“ Ratlos schütteln die Freunde den Kopf.
Die 85 Euro für drei Tage sind für Paul, wie man in Wien so schön sagt, kein Lercherl und kommen dementsprechend von Oma und Opa. Mamas Taschengeld ist gut gemeint, allein, es wird nicht reichen. Paul denkt an, Pfandbecher zu sammeln und sich damit ein Meer an Krügerln zu finanzieren.
Wie weit das Burgenland von Wien nun entfernt ist? Paul kann es nicht sagen. Er hat im Geografieunterricht nicht aufgepasst und stattdessen lieber Motörhead und deren Album-Klassiker „Ace Of Spades“ aus 1980 studiert. Dass man für die Strecke vier Stunden braucht, hat jedenfalls nichts mit der Entfernung zu tun und erklärt sich über eine Blechlawine, die reglos am Asphalt steht. Apropos Blech: Die erste 24er-Palette Dosenbier ist vernichtet, noch ehe das Festivalgelände erreicht werden kann. Solchermaßen motiviert, begegnet Paul beim Spaziergang über die Autobahn einer gewissen Susanne, nach der er in den folgenden Tagen angestrengt suchen wird. Man ahnt es, vergeblich.
Das Wetter ist gut, die Stimmung bierernst. Wie viele Bühnen das Nova Rock bietet, kann Paul nicht sagen. Er sieht jede von ihnen doppelt und wird später von einem ORF-Team dabei gefilmt, wie er am Campingplatz eine Dose Cola-Whiskey über die Nase einnimmt. Sein Vater beschließt zu Hause vor dem TV-Gerät, dass Paul im nächsten Monat auf Taschengeld verzichten wird müssen und stellt nebenbei fest, dass der ORF auch nicht mehr ist, was er einmal war.
Paul muss sich ärgern, weil die Dixi-Toiletten bereits am ersten Tag unbenützbar, sprich grauslich sind. Aber hey, es könnte auch alles noch schlimmer sein. Wie Günther aus der 5A später erzählen wird, hat ihm einer ins Zelt gemacht, als er selbst bei Metallica headbangen war.
Wie es Paul in diesen Nächten je in sein Zelt geschafft hat, darüber wird noch heute gerätselt. Hansi, Alex und Stefan wollen sich aber erinnern, dass Paul zumindest einmal anderswo zeltete. Dass sich bis heute keine Kindsmutter gemeldet hat, ist für Pauls Eltern der Hit am Nova Rock 2006.
Über den Rest wird heute wahlweise geschwiegen oder gelacht. Gut dokumentiert sind die nachmittäglichen Ausflüge in den Ort, wo Paul der hiesigen Wirtschaft vorführte, dass er in Sachen Umwegrentabilität sehr gerne aushilft.
Im Folgejahr nahm sich Paul vom Festivaltreiben dann aber frei. Zwei Jahre später bemerkte er am mit 1500 Besuchern nicht nur vergleichsweise idyllischen Seewiesenfest in Kleinreifling, dass er nun auch schon wieder 24 Monate erwachsener geworden ist. Wenn Paul der Sinn heute nach Bungee-Jumpen und einem gepflegten Rodeoritt steht, muss er dafür nicht mehr dreistellige Eurosummen für halbstarke Metalbands ausgeben. Wenn er schlecht essen will, dann geht er in die Mensa.
Auch mit dem Campingspaß ist spätestens seit Günthers Notdurftanekdote Schluss. Am Frequency übernachtet Paul heute bei seinen St. Pöltner Freunden oder nimmt den Nachtzug nach Wien. 2011 ging es nun erstmals zum Primavera nach Barcelona. Dort gäbe es, so Paul, zwar das schlechtere Bier. Im Zweifelsfall ist das bessere Programm heute aber auch das wichtigere Argument.
Die Festivals
Am Samstag läutet das Nova Rock die Festivalsaison ein: Mit 160.000 Besuchern, die zwischen 11. und 13. Juni im burgenländischen Nickelsdorf erwartet werden, ist es hierzulande die größte Veranstaltungsreihe ihrer Art. Das erstmals 2005 ausgetragene Festival spezialisiert sich seit jeher auf die härteren Klänge. Dabei kommen vor allem die Neigungsgruppen Metal, Hard-Rock und Punk auf ihre Kosten. Neben Iron Maiden und Linkin Park gastieren System Of A Down, Volbeat, Motörhead oder Korn. Dass die Programmierung als wenig visionär bezeichnet werden muss, der Veranstalter neben Bands, die jährlich auf Großfestivals gehört werden können, zahlreicheActs einfliegen lässt, die erst in den letzten Monaten in Österreich auftraten – es tut dem Zustrom keinen Abbruch. Das Nova Rock ist bereits restlos ausverkauft, zur Anreise per Bus und Bahn wird geraten. Die ÖBB fährt mit Sonderzügen. Infos: www.novarock.at
Beinahe ebenso groß ist das FM4-Frequency-Festival. 120.000 Besucher sollen sich heuer zwischen 18. und 20. August am Areal des VAZ St. Pölten tummeln, wohin die Veranstaltung im Jahr 2009 vom Salzburgring übersiedelt war. Konkurrenz zum Nova Rock ist das Festival aber keine: Zum einen spricht das Frequency mit seiner Fokussierung auf die Indie-Schiene ein anderes Publikum an. Zum anderen gehören die Veranstalter Musicnet (Frequency) und Nova Music (Nova Rock) zur gleichen Firmengruppe. Während das Line-up mit den Foo Fighters, Beady Eye oder The National lockt, soll mit der neu errichteten „Green Camper Area“ ein nachhaltiges Areal für ruhebedürftige Besucher geboten werden.
Traditionell auf elektronische Musik setzt das Urban Art Forms in Wiener Neustadt (16. bis 18.6), auf Santana das Lovely Days (8.7.) und auf Reggae & Co das Sunsplash (27. 8) in Wiesen.
Ebenfalls dort finden statt: Forestglade (16.7 mit The Pogues), The Nova Jazz & Blues Nights (23. und 24.7. mit Jamie Cullum, Amy Winehouse) oder das Two Days A Week (2. und 3.9. mit The Offspring).
(Wiener Zeitung, 11./12.5.2011)
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