Donnerstag, September 29, 2011

Weltschmerz und Wasserbier

Am Mittwoch startete erstmals das Waves Vienna - Wiens Club- und Showcasefestival

Drinks spielten am Eröffnungstag des Waves Vienna nicht nur insofern eine Rolle, als die überpräsenten Hauptsponsoren ihren Industrie-Whisky aufdringlich bewarben und das Seidl vom Wasserbier um 3,60 Euro feilboten. Weil Wiens dringend benötigtes, erstes Club- und Showcase-Festival großen Wert auf Networking legt - mit einer Konferenz wird auch noch heute, Freitag, vor allem auf die Ost-West-Achse geschielt - und beim Trinken bekanntlich die Leut’ zusammenkommen, wurden aber zumindest die geladenen Gäste schon im Vorfeld darauf hingewiesen, dass mit Freibier zu rechnen ist.

Und weil zum Auftakt der ersten Saison am Mittwoch musikalisch die Schwermut regierte, wurde so auch der Weltschmerz ertränkt. Im Wiener Stadtsaal, wo aufgrund eines "Planungsfehlers" zahlreiche Plätze frei blieben, spielte schließlich keine Geringere als Soap & Skin vor Delegierten und Szenemenschen. Live an Klavier und Laptop und von einem als schwarze Armada getarnten Ensemble begleitet, wurde dabei der Gott des Todes besungen und wie gewohnt nachdrücklich zum Trauermarsch geblasen.

Schmerz und Scherz

Die östlichen Nachbarn von Longital durften im Anschluss den Umstand ausbaden, dass die Tages-Headliner zeitgleich gebucht und das Publikum somit in die Clubs gelockt wurde: Im Flex kam es zu einem Wiederhören mit den britischen Post-Punk-Heroen Gang of Four, während sich am Clubschiff die besser als EMA bekannte US-Amerikanerin Erika M. Anderson vorstellte.

Die als Teil des Drone-Folk-Duos Gowns einschlägig vorbelastete Musikerin sorgte mit ihrem Debütalbum "Past Life Martyred Saints" heuer nicht von ungefähr für Stimmung in der Blogosphäre. Mit von den Nachwehen des Grunge-Genres beeinflussten Lo-Fi-Studien, deren Intensität auf Reduktion fußt, ging es inhaltlich bevorzugt um eines: Schmerz, Depression, Seelenpein und Post-Teenage-Angst bis hin zum Suizid-Exkurs.

Auf einer abwegig ebenerdigen, sprich unterirdisch errichteten Bühne, brachte EMA mit ihrer solchermaßen nur hörbaren Band an Keyboards, Schlagzeug, Gitarre und E-Geige die Boxen zum Glühen. Nach "Marked" als Mark und Bein durchdringender Opener multiplizierte sich ihre Nähe zum Grunge live doch erheblich. Grobschlächtige, wuchtige und wütende Riffs, weit ausladende Feedback-Schleifen und Walls of Sound als wärmende Ungetüme gegen die Kälte der Welt konnten dabei nicht verschleiern, dass EMAs Herz immer auch für große Melodien schlägt.

Ehe der unter Proberaum-Niveau abgefallene Zugabenteil erklärte, wie man ein gutes Konzert am Ende doch noch beschädigt, ging das vor allem mit einer live ausgedehnten Version des störrischen "Butterfly Knife" oder bei "Milkman" gut, dessen Industrial-Sound live mit den Mitteln des Punk deutlich geschliffen wurde.

Die Verstärker pfiffen, die Ohren sausten, EMA selbst scherzte und brach die Schwere ihres Werks ("I’m just 22 and I don’t mind dying") mit guter Laune. Wer hätte das gedacht, dass die Soirée an diesem Abend weniger an der Welt, sondern vielmehr am Wasserbier leiden würde?

(Wiener Zeitung, 30.9.2011)

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