"Es erscheint mir als ein politisches
Gebot der Stunde, Mut zur Wahrheit zu beweisen. Zur Wahrheit, was die
wirklichen Probleme in unserer Gesellschaft betrifft." - Allein, wie
kommt man der Wahrheit über die Wirklichkeit näher? Bauernbundpräsident
Fritz Grillitsch zeigte sich ratlos. Er lud Thilo Sarrazin nach Graz, wo
das umstrittene SPD-Mitglied von 700 Gästen freundlich empfangen sowie
von Demonstranten kritisch beäugt wurde.
Der Mann, der die
Integrationsfähigkeit bestimmter Migrantengruppen ebenso bezweifelt wie
ihre Intelligenz, der Hartz-IV-Empfängern zynische Spartipps gibt und
ein Kernproblem der Gesellschaft im mangelnden Fortpflanzungswillen der
"Oberschicht" ortet, blieb in der "ZiB2" nüchtern. Die fehlende Erregung
verband ihn dabei ebenso mit den oberen Zehntausend wie vermutlich auch
sein Hang zur Selbstüberzeugung: "Wichtig ist, dass man jetzt über
viele Fragen offener redet. Was sich daraus ergibt, wird man abwarten
müssen." Schließlich wurden schon ganz andere Kaliber als sein Buch
"Deutschland schafft sich ab" erst später auch als solche erkannt: "Da
erlauben Sie mir jetzt einen kleinen Scherz. Als Karl Marx ,Das Kapital
veröffentlicht hat, da hatte sich ein Jahr danach auch noch nicht viel
getan."
Kein Scherz, dass Sarrazin die Rolle der Frau letztlich wieder
auf jene der Gebärmaschine reduzierte. Ob man sich über diese Aussage
oder doch den Umstand eher erregte, dass das Gespräch an dieser Stelle
ohne Gegenfrage beendet wurde, blieb dabei ebenso rätselhaft wie eines:
die wirkliche Wahrheit hinter Sarrazins Thesen.
(Wiener Zeitung, 1./2.10.2011)

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