Freitag, Oktober 28, 2011

Die Kunst des Möglichen

Auf Wedekinds Spuren: das ungewöhnliche Joint Venture von Lou Reed und Metallica

- Lulu“ wird vor allem als mutiges Projekt in Erinnerung bleiben.

Für seine Zusammenarbeit mit Metallica kommt Lou Reed der Umstand zugute, dass er bereits mindestens ein unhörbares Album vorweisen kann. Seine 1975 eingespielte Arbeit „Metal Machine Music“, die ausschließlich aus Gitarrenfeedbacks und -effekten besteht, gilt diesbezüglich als besonders radikal. Wir sprechen von Musik, auf die sich vergleichsweise konventionelle Schwachbrüste wie die Einstürzenden Neubauten bald darauf zumindest mit standesgemäßen Songtiteln beriefen: „Hören mit Schmerzen“, „Hirnsäge“, „Kollaps“. Teils für seine Verweigerungshaltung gewürdigt, gilt „Metal Machine Music“ der gängigen Pop-Rezeption zufolge dann aber doch als bescheidenes Werk, das Reeds Legendenstatus freilich auch nicht beschädigte. 

Ernte vom Watschnbaum

Vor diesem Hintergrund ist ein Blick in einschlägige Diskussionsforen und pop-affine Netz-Medien besonders interessant, wenn es um das mehr als überraschende Joint Venture des einstigen Velvet-Underground-Sängers mit den kalifornischen Metal-Millionären Metallica geht. Während in besagten Internet-Horten gemeinhin Einigkeit herrscht, dass selbst die mittelmäßigsten Veröffentlichungen mindestens immer das Album des Jahres sind, regnet es für das Werk titels „Lulu“ auffallend erbarmungslos aus dem Watschnbaum.

Das Reflex-Bashing ist dabei insofern mit Vorsicht zu genießen, als die am Album beteiligten Protagonisten und ihre Jünger in unterschiedlichen Höhlen hausen. Und dass Metallica-Fans keinen Spaß verstehen, wenn es um eine Weiterentwicklung „ihrer“ Band geht, ist spätestens seit der Zeit um „St. Anger“ bekannt, als Kirk Hammett das Solieren verboten wurde (und die IG Metal empört reagierte). Reeds Anhänger wiederum dürften Metallica vor allem vom Ignorieren her kennen und Lars Ulrich als Proll einschätzen, der hinter Reeds literarischen Helden William S. Burroughs und Allen Ginsberg kanadische Bierbrauer vermutet.

Die Musiker selbst fanden bei den Feierlichkeiten zum 25. Geburtstag der „Rock ’n’ Roll Hall of Fame“ zueinander, nach denen Reed ein gemeinsames Album vorschlug. Dieses ist nun nichts weniger als eine Annäherung an Frank Wedekinds Bühnen-Figur Lulu geworden, die in den Stücken „Erdgeist“ oder „Die Büchse der Pandora“ ihr Unwesen treibt. Ausgehend von einer Inszenierung des US-Künstlers Robert Wilson, fügt sich die Geschichte über das gleichnamige Mädchen in Reeds Textwelt der Outcasts zunächst einmal gut ein. Mit dem zu seiner Zeit als Sittenstrolch gebrandmarkten Wedekind verbindet Reed außerdem ein Hang zu den existenziellen Themen Sex und Tod sowie ein gewisses Interesse an sadomasochistischen Praktiken.

Passend zum aggressiven Klang des mit einer Spielzeit von eineinhalb Stunden üppig bemessenen und an nur zehn Tagen eingespielten Albums, rotzt Reed wüst saubartelnde oder einfach nur schlechte Texte mit grimmigem Sprechgesang aus. Von James Hetfield – weitestgehendes Singverbot! – ist wenig zu hören. Musikalisch dürfen Metallica wiederum nur teilweise mit der Planierraupe auffahren und prototypisch wie Kugelhagel niedergehende Thrash-Metal-Riffs abfeuern. Zwischendruch gilt es, sich auch mit einer Statistenrolle als Atmosphärenzauberer zu begnügen.

Tatsächlich klingen die Ergebnisse wahlweise böse und jenseits, letzteres vor allem in den konventioneller gebauten Momenten – man höre etwa den müden Altherren-Hardrock von „Iced Honey“ und seine abgestandenen Akkorde. Mit viel gutem Willen ist das Album aber nicht in jeder Sekunde der Totalausfall, auf den man sich bereits einstellen musste. Die Stille vor, zwischen und nach den Songs etwa ist durchaus gelungen.

Kunst als Kunst des Möglichen. Man wird dieses Projekt vor allem als mutig in Erinnerung behalten.

Lou Reed & Metallica: Lulu (Universal)

(Wiener Zeitung, 29./30.10.2011)

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