Auf Wedekinds Spuren: das ungewöhnliche Joint Venture von Lou Reed und Metallica
- „Lulu“ wird vor allem als mutiges Projekt in
Erinnerung bleiben.
Für seine Zusammenarbeit mit Metallica kommt Lou Reed der Umstand
zugute, dass er bereits mindestens ein unhörbares Album vorweisen kann. Seine
1975 eingespielte Arbeit „Metal Machine Music“, die ausschließlich aus Gitarrenfeedbacks
und -effekten besteht, gilt diesbezüglich als besonders radikal. Wir sprechen
von Musik, auf die sich vergleichsweise konventionelle Schwachbrüste wie die
Einstürzenden Neubauten bald darauf zumindest mit standesgemäßen Songtiteln beriefen:
„Hören mit Schmerzen“, „Hirnsäge“, „Kollaps“. Teils für seine
Verweigerungshaltung gewürdigt, gilt „Metal Machine Music“ der gängigen
Pop-Rezeption zufolge dann aber doch als bescheidenes Werk, das Reeds
Legendenstatus freilich auch nicht beschädigte.
Ernte vom Watschnbaum
Ernte vom Watschnbaum
Vor diesem Hintergrund ist ein Blick in einschlägige
Diskussionsforen und pop-affine Netz-Medien besonders interessant, wenn es um das
mehr als überraschende Joint Venture des einstigen Velvet-Underground-Sängers mit
den kalifornischen Metal-Millionären Metallica geht. Während in besagten Internet-Horten
gemeinhin Einigkeit herrscht, dass selbst die mittelmäßigsten
Veröffentlichungen mindestens immer das Album des Jahres sind, regnet es für das
Werk titels „Lulu“ auffallend erbarmungslos aus dem Watschnbaum.
Das Reflex-Bashing ist dabei insofern mit Vorsicht zu
genießen, als die am Album beteiligten Protagonisten und ihre Jünger in
unterschiedlichen Höhlen hausen. Und dass Metallica-Fans keinen Spaß verstehen,
wenn es um eine Weiterentwicklung „ihrer“ Band geht, ist spätestens seit der
Zeit um „St. Anger“ bekannt, als Kirk Hammett das Solieren verboten wurde (und
die IG Metal empört reagierte). Reeds Anhänger wiederum dürften Metallica vor
allem vom Ignorieren her kennen und Lars Ulrich als Proll einschätzen, der
hinter Reeds literarischen Helden William S. Burroughs und Allen Ginsberg kanadische
Bierbrauer vermutet.
Die Musiker selbst fanden bei den Feierlichkeiten zum 25.
Geburtstag der „Rock ’n’ Roll Hall of Fame“ zueinander, nach denen Reed ein
gemeinsames Album vorschlug. Dieses ist nun nichts weniger als eine Annäherung
an Frank Wedekinds Bühnen-Figur Lulu geworden, die in den Stücken „Erdgeist“
oder „Die Büchse der Pandora“ ihr Unwesen treibt. Ausgehend von einer
Inszenierung des US-Künstlers Robert Wilson, fügt sich die Geschichte über das gleichnamige
Mädchen in Reeds Textwelt der Outcasts zunächst einmal gut ein. Mit dem zu
seiner Zeit als Sittenstrolch gebrandmarkten Wedekind verbindet Reed außerdem ein
Hang zu den existenziellen Themen Sex und Tod sowie ein gewisses Interesse an
sadomasochistischen Praktiken.
Passend zum aggressiven Klang des mit einer Spielzeit von
eineinhalb Stunden üppig bemessenen und an nur zehn Tagen eingespielten Albums,
rotzt Reed wüst saubartelnde oder einfach nur schlechte Texte mit grimmigem
Sprechgesang aus. Von James Hetfield – weitestgehendes Singverbot! – ist wenig
zu hören. Musikalisch dürfen Metallica wiederum nur teilweise mit der
Planierraupe auffahren und prototypisch wie Kugelhagel niedergehende Thrash-Metal-Riffs
abfeuern. Zwischendruch gilt es, sich auch mit einer Statistenrolle als
Atmosphärenzauberer zu begnügen.
Tatsächlich klingen die Ergebnisse wahlweise böse und
jenseits, letzteres vor allem in den konventioneller gebauten Momenten – man
höre etwa den müden Altherren-Hardrock von „Iced Honey“ und seine abgestandenen
Akkorde. Mit viel gutem Willen ist das Album aber nicht in jeder Sekunde der Totalausfall,
auf den man sich bereits einstellen musste. Die Stille vor, zwischen und nach
den Songs etwa ist durchaus gelungen.
Kunst als Kunst des Möglichen. Man wird dieses Projekt vor allem als
mutig in Erinnerung behalten.
Lou Reed & Metallica: Lulu (Universal)
(Wiener Zeitung, 29./30.10.2011)

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen