Mittwoch, Oktober 26, 2011

Im Drama kein Haushalt

Die US-amerikanische Songwriterin Tori Amos und ihr Publikum litten in Wien

Kunst kommt von Anstrengung. Bei Tori Amos liegt dieser Schluss in mehrerlei Hinsicht nahe – und vor allem publikumsseitig wird davon ein Lied gesungen. Ist ihr Fach doch das Drama, das die Tochter eines Methodistenpfarrers im Jahr 1992 mit ihrem Album „Little Earthquakes“ berühmt werden ließ.

Darauf hielt Amos am Weltschmerz der 80er-Jahre fest. Während sich parallel dazu mit PJ Harvey die zweite große Schmerzensfrau im Fach etablierte, die musikalisch aber auf eine mit den Mitteln des Rock ’n’ Roll reduzierte Spielart vertraute, litt Amos’ Werk immer auch an der Ausstellung der eigenen Virtuosität am Klavier. Immerhin galt die 1963 in North Carolina geborene Musikerin als Wunderkind, das bereits im Alter von fünf Jahren ein Stipendium für das renommierte Peabody-Konservatorium erhielt, das einst etwa auch von Philip Glass besucht worden war.

Gediegene Hausmusik

Diese latente Selbstverliebtheit änderte an ihrer Klasse als Songwriterin aber ebenso wenig wie ihre Neigung zum Konzept, die später Alben mit Überlänge und entsprechendem Füllmaterial zeitigte: „American Doll Posse“ zum Beispiel, das Amos aus der Sicht von fünf an griechische Göttinnen angelehnten Charakteren erzählte. Aktuell wiederum muss man sich mit „Night Of Hunters“ das erste Klassik-Album der US-Amerikanerin erarbeiten, auf dem sie Bach, Schubert oder Chopin variierte. Was beängstigend klingt – und als Auftragswerk für die Deutsche Grammophon tatsächlich prätentiös bis zum Anschlag geraten ist –, erweist sich bald aber als Amos’ zwingendste Arbeit seit langem. Auszüge daraus und reichlich altes Material gab es am Dienstag im gut besuchten, aber nicht ausverkauften Saal E der Wiener Stadthalle.

Inmitten eines Bühnen-Setups, das einen opulenten Festsaal imitierte, in den Amos in Abendrobe am Bösendorfer und mit ihrem Streichquartett zur Hausmusik lud, begann es mit „Shattering Sea“ sehr gediegen. Während die Streicher emphatisch gestikulierend ans Werk schritten, als gälte es, für die Pop-Exoten im Saal auf den heiligen Ernst ihrer Zunft zu verweisen, sollte sich Amos später weit strecken müssen, um gleichzeitig Klavier und Keyboards zu spielen. Kunst kommt, wie gesagt, von Anstrengung, wie Tori Amos auch dabei erfuhr, als sie mit dem linken Stöckelschuh das Klavier-Pedal suchte.

Von den neuen Stücken blieben die reduzierteren am eindrucksvollsten, wie „Fearlessness“ und vor allem „Carry“ bewiesen, die Assoziationen mit den Arbeiten der US-Harfenistin Joanna Newsom durchaus erlaubten. Mit „I Can’t See New York“ geriet zudem ausgerechnet ein Song aus dem Album „Scarlet’s Walk“, mit dem Amos 2002 Streifzüge durch das Amerika der Post-9/11-Ära unternahm, zu einem stillen Höhepunkt.

Ohne Verschnaufpause

„Winter“, „Yes, Anastasia“, „Merman“. Lieder, die nach Schmerz, Angst und Verzweiflung klingen. Lieder, die durch Mark und Bein fahren wollen, für sich genommen in ihrer eigenen Liga spielen und den Abend zwar erwartungsgemäß zum Triumph führen sollten.

Über die Dauer von zwei Stunden ist das natürlich trotzdem zu viel. Hat uns nicht Hollywood stets gelehrt, dasss Dramen haushalten müssen und Verschnaufpausen brauchen, um wirksam zu bleiben? Nicht auszudenken, wenn Tori Amos auch noch danach handeln würde.

(Wiener Zeitung, 27.10.2011)

Keine Kommentare: