Kunst kommt
von Anstrengung. Bei Tori Amos liegt dieser Schluss in mehrerlei Hinsicht nahe
– und vor allem publikumsseitig wird davon ein Lied gesungen. Ist ihr Fach doch
das Drama, das die Tochter eines Methodistenpfarrers im Jahr 1992 mit ihrem
Album „Little Earthquakes“ berühmt werden ließ.
Darauf hielt Amos am Weltschmerz der 80er-Jahre fest.
Während sich parallel dazu mit PJ Harvey die zweite große Schmerzensfrau im
Fach etablierte, die musikalisch aber auf eine mit den Mitteln des Rock ’n’
Roll reduzierte Spielart vertraute, litt Amos’ Werk immer auch an der Ausstellung
der eigenen Virtuosität am Klavier. Immerhin galt die 1963 in North Carolina
geborene Musikerin als Wunderkind, das bereits im Alter von fünf Jahren ein
Stipendium für das renommierte Peabody-Konservatorium erhielt, das einst etwa
auch von Philip Glass besucht worden war.
Gediegene Hausmusik
Diese latente Selbstverliebtheit änderte an ihrer Klasse als
Songwriterin aber ebenso wenig wie ihre Neigung zum Konzept, die später Alben
mit Überlänge und entsprechendem Füllmaterial zeitigte: „American Doll Posse“
zum Beispiel, das Amos aus der Sicht von fünf an griechische Göttinnen
angelehnten Charakteren erzählte. Aktuell wiederum muss man sich mit „Night Of
Hunters“ das erste Klassik-Album der US-Amerikanerin erarbeiten, auf dem sie Bach,
Schubert oder Chopin variierte. Was beängstigend klingt – und als Auftragswerk
für die Deutsche Grammophon tatsächlich prätentiös bis zum Anschlag geraten ist
–, erweist sich bald aber als Amos’ zwingendste Arbeit seit langem. Auszüge
daraus und reichlich altes Material gab es am Dienstag im gut besuchten, aber
nicht ausverkauften Saal E der Wiener Stadthalle.
Inmitten eines Bühnen-Setups, das einen opulenten Festsaal
imitierte, in den Amos in Abendrobe am Bösendorfer und mit ihrem
Streichquartett zur Hausmusik lud, begann es mit „Shattering Sea“ sehr
gediegen. Während die Streicher emphatisch gestikulierend ans Werk schritten,
als gälte es, für die Pop-Exoten im Saal auf den heiligen Ernst ihrer Zunft zu
verweisen, sollte sich Amos später weit strecken müssen, um gleichzeitig
Klavier und Keyboards zu spielen. Kunst kommt, wie gesagt, von Anstrengung, wie
Tori Amos auch dabei erfuhr, als sie mit dem linken Stöckelschuh das Klavier-Pedal
suchte.
Von den neuen Stücken blieben die reduzierteren am eindrucksvollsten,
wie „Fearlessness“ und vor allem „Carry“ bewiesen, die Assoziationen mit den
Arbeiten der US-Harfenistin Joanna Newsom durchaus erlaubten. Mit „I Can’t See
New York“ geriet zudem ausgerechnet ein Song aus dem Album „Scarlet’s Walk“,
mit dem Amos 2002 Streifzüge durch das Amerika der Post-9/11-Ära unternahm, zu
einem stillen Höhepunkt.
Ohne Verschnaufpause
„Winter“, „Yes, Anastasia“, „Merman“. Lieder, die nach Schmerz,
Angst und Verzweiflung klingen. Lieder, die durch Mark und Bein fahren wollen, für
sich genommen in ihrer eigenen Liga spielen und den Abend zwar erwartungsgemäß
zum Triumph führen sollten.
Über die Dauer von zwei Stunden ist das natürlich trotzdem
zu viel. Hat uns nicht Hollywood stets gelehrt, dasss Dramen haushalten müssen
und Verschnaufpausen brauchen, um wirksam zu bleiben? Nicht auszudenken, wenn
Tori Amos auch noch danach handeln würde.
(Wiener Zeitung, 27.10.2011)

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