Sex, Drugs &
Rock ’n’ Roll: Am Sonntag startet in den USA die 5. Staffel von
„Californication“.
- In der
Wirklichkeit hat das männliche Lotterleben längst einen schweren Stand.
Hank Moody
erwacht. Sein Blick verrät die Verwirrung: Wo bin ich? Wer bin ich? Wer ist die
nackte Frau in meinem Bett? Und, was zum Teufel, ist gestern Nacht schon wieder
passiert??
Hank
Moody steht auf. Beim Spaziergang durch das Beischlafzimmer kann mit einiger
Sicherheit festgestellt werden, dass es sich, versteckt unter leerem, vormals
mit Bier, Wein und Whiskey gefülltem Einweggebinde, um die eigene Wohnung und,
hinter den zerknautschten Augen, unter dem verwuschelten Haar und über dem provisorisch
bedeckten Lebemann, um – das bin doch ich! – Hank Moody handelt.
In
der Küche begegnet der von der Schreibarbeit vor allem von einer Versuchung
namens Lotterleben täglich aufs Neue abgehaltene Autor des programmatisch nach
einem Werk der amerikanischen Thrash-Metal-Heroen Slayer betitelten Romans „God
Hates Us All“ einer Zwergin, die ihr Frühstücksbier einnimmt und um diese
Uhrzeit textil kaum mehr Ambitionen hegt als unser Antiheld selbst. David Lynch
hätte jetzt seine Freude, Hank Moody hingegen schwant Übles. Im Wohnzimmer wird
ein sichtlich beim Computerkaraoke in der Unterhose eingeschlafener Buddy
gefunden, während sein Verleger im Kinderzimmer der zum Glück außer Haus
weilenden Tochter zwischen den Hintern zweier nackter Frauen glückselig
rüsselt. Es ist ein relativ normaler Tag im Leben unseres Schriftstellers. Er
schmerzt schon zur mittäglichen Frühmorgenstund wie ein Penisbruch im Angesicht
der Sirenen-Insel, aber hey – und großer Himmel! –, man könnte auch blöder
leiden. Los Angeles, du Stadt der Engel.
Angebot für
Gottes Sünder
Das
Setting der seit 2007 produzierten Tunichtgut-Serie „Californication“, deren
fünfte Staffel am Sonntag im US-Kanal Showtime anläuft, ist damit ebenso gut
abgesteckt wie das Lebensmotto ihrer Leitfigur: „Erstens: Ein Morgen voller
Peinlichkeit ist besser als eine Nacht der Einsamkeit. Zweitens: Ich werde
wahrscheinlich nicht in die Geschichtsbücher kommen, aber garantiert in deine
Schwester.“ Sex und Drugs und Rock ’n’ Roll als ewiges Verheißungsangebot für Gottes
Sünder, die – frei nach Oscar Wilde – allem wiederstehen können, nur nicht der
Versuchung. Zumindest, wenn es darum geht, in Hank Moody als von David Duchovny
nach allen Regeln der Kunst verkörpertem Lebemann einen Stellvertreter zu
sehen, der uns die eigene Restvernunft bewahren und die Sache mit dem verrückten
Leben lieber den Wahnsinnigen vom Fernsehen (über-)lässt, beweisen wir im Publikum
unsere große Schuld. Wir sind würdig und schlecht und vor allem zur Stelle,
wenn der Fall des gebeutelten Mannes als verzweifelter Barhocker tiefer hinabführt
als bis zum physischen Boden.
Domestizierung des Machos
Domestizierung des Machos
Inmitten
der schattseitigen Gefilde, die dabei durchquert werden müssen, verortet sich
„Californication“ in einem seltsamen Zwischenreich: Zum einen bringt das Format,
ähnlich wie etwa „Mad Men“ um die Umtriebe des Werbefachmanns Don Draper im New
York der 1960er-Jahre, nicht nur im Hollywood-Kino und im Serien-TV längst
verpönte Laster wie vor allem den Konsum legaler Drogen zurück auf den
Bildschirm. Trotz einer spürbaren Gier nach dem Leben als Todesursache Nummer eins
(„Die Lebenslust bringt di um“ – Falco), „explicit nudity“ in
semipornografischen Bildern und allem Weiteren, durch dessen Aussparung die
US-Entertainmentbranche längst schon als prüde gebrandmarkt wurde, schlägt die
Metaebene freilich auch hier bald eine andere Richtung ein. Immerhin werden wir
Zeugen, wie Hank Moody als liebender Vater für seine Tochter alles tun würde
und entgegen der Allmacht des Permanentkaters, wenn auch vielleicht etwas später,
so doch immer aufsteht. Taumeln, fallen, vom Barhocker fallen. Sich aufrichten,
sanfter fallen. Ein Leben nach dem Beckett-Zitat: „Try again. Fail again. Fail
better.“ Leise Errettungsfleher und das Vergebungsgewinsel nach dem selbst verschuldeten
Absturz entblößen im spitzen Lumpi gern auch einen weichen Herrn.
Geschuldet
ist diese Dialektik einer Entwicklung, die mit Grace Jones begann, als sie
James Bond sexuell in Anspruch nahm – und nicht umgekehrt! –, um damit auch den
letzten Machobastionen einzubläuen, dass
die Welt der außergewöhnlichen Gentlemen mit sofortiger Wirkung nicht mehr die
gleiche sein würde. Domestizierte, in der Väterkarenz (!) freiwillig (!!) mit
dem Kinderwagen (!!!) ausfahrende Männer, für die Promiskuität tatsächlich ein
Fremdwort ist, sehen sich heute einer Welt gegenüber, die keine Barhocker mehr haben
will, den Genuss meidet wie der Teufel das Weihwasser und all jene mit besseren
Sozialversicherungsleistungen belohnt, die dank probiotischer japanischer
Kampfbakterien und fettfreier Milchprodukte ihre Idealwerte erreichen. Kommt
nicht ausgerechnet der Wein mit den aufdringlichen Gesundheitswarnungen immer
aus Kalifornien? Tatsächlich, es ist nicht die Welt des Hank
Moody, die sich da draußen breitgemacht hat – und die nun mit zuvorderst sich
selbst breit machenden Serienfiguren wieder zurückschlägt. Unser Autor, jetzt
philosophisch: „Wein ist gut, aber Whiskey ist schneller!“
Moralisch im
Wesentlichen
Der
Typus Lebemann, der dabei entsteht, versteht es klug, sich die Moral in der
Welt seiner dunklen Begierden für das Wesentliche aufzusparen (man muss damit
nicht schon beim Drogenkonsum anfangen), um den Anforderungen der Zeit gerecht
werden zu können, während seine Vorgängermodelle darniederliegen, so sie noch
nicht gestorben sind. Siehe dazu den Playboy als kapitalistischen Großkotz mit
Hang zum Eiswürfelgeklimper am Kaminfeuer in Saint-Tropez, der in Zeiten der Weltwirtschaftskrise
kein Idol mehr sein kann – und heute etwa als exministrabler B-Promi in der
Klatschspalte noch bizarrer erscheint als, sagen wir, Flavio Briatore (was man
erst einmal schaffen muss). Männer wie Keith Richards – jahrzehntelanges Lebensmotto:
„Die besten Partys sind die, an die man sich nicht mehr erinnert“ – wiederum sind
im Normalfall tatsächlich tot oder werden heute nur mehr in der Weicheiervariante
als Charlie Sheen hergestellt. Kurz: Das geht sich nicht aus.
So
ist es wenig verwunderlich, dass Vorbilder für die Figur des Hank Moody am
ehesten noch der Lumpenliteratur entnommen wurden. Zwischen den Anfängen eines
Henry Miller, als dieser sich in „Sexus“ noch als Versager porträtierte, der
das Feuer des Genies bereits in sich lodern spürte, und dem aufrecht zwischen Sauferei
und Pferdewetten angesiedelten Erzählungen eines Charles Bukowski finden sich
die Anknüpfungspunkte, die im dekadenten Los Angeles allerdings von einer
Überflussgesellschaft und ihren Begleiterscheinungen vereinnahmt werden.
In
der fünften Staffel wird übrigens nicht nur dem Modell der Patchworkfamilie
noch stärker als bisher Rechnung getragen, sondern über eine neue Rolle des
US-Rappers RZA (Wu-Tang Clan) als Hip-Hop-Mogul kein sinnloser Spaß
ausgelassen. Man kann Charles Bukowski vieles unterstellen, keinesfalls aber,
uns nicht eindringlich gewarnt zu haben. „Die meisten Männer verstehen
überhaupt nicht zu leben, sie nutzen sich nur ab.“ In diesem Sinne!
(Wiener Zeitung, 7./8.1.2012)

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