Freitag, Januar 06, 2012

Der Fall des Barhockers

Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll: Am Sonntag startet in den USA die 5. Staffel von „Californication“. 

- In der Wirklichkeit hat das männliche Lotterleben längst einen schweren Stand.

Hank Moody erwacht. Sein Blick verrät die Verwirrung: Wo bin ich? Wer bin ich? Wer ist die nackte Frau in meinem Bett? Und, was zum Teufel, ist gestern Nacht schon wieder passiert??

Hank Moody steht auf. Beim Spaziergang durch das Beischlafzimmer kann mit einiger Sicherheit festgestellt werden, dass es sich, versteckt unter leerem, vormals mit Bier, Wein und Whiskey gefülltem Einweggebinde, um die eigene Wohnung und, hinter den zerknautschten Augen, unter dem verwuschelten Haar und über dem provisorisch bedeckten Lebemann, um – das bin doch ich! – Hank Moody handelt.

In der Küche begegnet der von der Schreibarbeit vor allem von einer Versuchung namens Lotterleben täglich aufs Neue abgehaltene Autor des programmatisch nach einem Werk der amerikanischen Thrash-Metal-Heroen Slayer betitelten Romans „God Hates Us All“ einer Zwergin, die ihr Frühstücksbier einnimmt und um diese Uhrzeit textil kaum mehr Ambitionen hegt als unser Antiheld selbst. David Lynch hätte jetzt seine Freude, Hank Moody hingegen schwant Übles. Im Wohnzimmer wird ein sichtlich beim Computerkaraoke in der Unterhose eingeschlafener Buddy gefunden, während sein Verleger im Kinderzimmer der zum Glück außer Haus weilenden Tochter zwischen den Hintern zweier nackter Frauen glückselig rüsselt. Es ist ein relativ normaler Tag im Leben unseres Schriftstellers. Er schmerzt schon zur mittäglichen Frühmorgenstund wie ein Penisbruch im Angesicht der Sirenen-Insel, aber hey – und großer Himmel! –, man könnte auch blöder leiden. Los Angeles, du Stadt der Engel.

Angebot für Gottes Sünder

Das Setting der seit 2007 produzierten Tunichtgut-Serie „Californication“, deren fünfte Staffel am Sonntag im US-Kanal Showtime anläuft, ist damit ebenso gut abgesteckt wie das Lebensmotto ihrer Leitfigur: „Erstens: Ein Morgen voller Peinlichkeit ist besser als eine Nacht der Einsamkeit. Zweitens: Ich werde wahrscheinlich nicht in die Geschichtsbücher kommen, aber garantiert in deine Schwester.“ Sex und Drugs und Rock ’n’ Roll als ewiges Verheißungsangebot für Gottes Sünder, die – frei nach Oscar Wilde – allem wiederstehen können, nur nicht der Versuchung. Zumindest, wenn es darum geht, in Hank Moody als von David Duchovny nach allen Regeln der Kunst verkörpertem Lebemann einen Stellvertreter zu sehen, der uns die eigene Restvernunft bewahren und die Sache mit dem verrückten Leben lieber den Wahnsinnigen vom Fernsehen (über-)lässt, beweisen wir im Publikum unsere große Schuld. Wir sind würdig und schlecht und vor allem zur Stelle, wenn der Fall des gebeutelten Mannes als verzweifelter Barhocker tiefer hinabführt als bis zum physischen Boden.

Domestizierung des Machos

Inmitten der schattseitigen Gefilde, die dabei durchquert werden müssen, verortet sich „Californication“ in einem seltsamen Zwischenreich: Zum einen bringt das Format, ähnlich wie etwa „Mad Men“ um die Umtriebe des Werbefachmanns Don Draper im New York der 1960er-Jahre, nicht nur im Hollywood-Kino und im Serien-TV längst verpönte Laster wie vor allem den Konsum legaler Drogen zurück auf den Bildschirm. Trotz einer spürbaren Gier nach dem Leben als Todesursache Nummer eins („Die Lebenslust bringt di um“ – Falco), „explicit nudity“ in semipornografischen Bildern und allem Weiteren, durch dessen Aussparung die US-Entertainmentbranche längst schon als prüde gebrandmarkt wurde, schlägt die Metaebene freilich auch hier bald eine andere Richtung ein. Immerhin werden wir Zeugen, wie Hank Moody als liebender Vater für seine Tochter alles tun würde und entgegen der Allmacht des Permanentkaters, wenn auch vielleicht etwas später, so doch immer aufsteht. Taumeln, fallen, vom Barhocker fallen. Sich aufrichten, sanfter fallen. Ein Leben nach dem Beckett-Zitat: „Try again. Fail again. Fail better.“ Leise Errettungsfleher und das Vergebungsgewinsel nach dem selbst verschuldeten Absturz entblößen im spitzen Lumpi gern auch einen weichen Herrn.

Geschuldet ist diese Dialektik einer Entwicklung, die mit Grace Jones begann, als sie James Bond sexuell in Anspruch nahm – und nicht umgekehrt! –, um damit auch den letzten  Machobastionen einzubläuen, dass die Welt der außergewöhnlichen Gentlemen mit sofortiger Wirkung nicht mehr die gleiche sein würde. Domestizierte, in der Väterkarenz (!) freiwillig (!!) mit dem Kinderwagen (!!!) ausfahrende Männer, für die Promiskuität tatsächlich ein Fremdwort ist, sehen sich heute einer Welt gegenüber, die keine Barhocker mehr haben will, den Genuss meidet wie der Teufel das Weihwasser und all jene mit besseren Sozialversicherungsleistungen belohnt, die dank probiotischer japanischer Kampfbakterien und fettfreier Milchprodukte ihre Idealwerte erreichen. Kommt nicht ausgerechnet der Wein mit den aufdringlichen Gesundheitswarnungen immer aus Kalifornien? Tatsächlich, es ist nicht die Welt des Hank Moody, die sich da draußen breitgemacht hat – und die nun mit zuvorderst sich selbst breit machenden Serienfiguren wieder zurückschlägt. Unser Autor, jetzt philosophisch: „Wein ist gut, aber Whiskey ist schneller!“

Moralisch im Wesentlichen

Der Typus Lebemann, der dabei entsteht, versteht es klug, sich die Moral in der Welt seiner dunklen Begierden für das Wesentliche aufzusparen (man muss damit nicht schon beim Drogenkonsum anfangen), um den Anforderungen der Zeit gerecht werden zu können, während seine Vorgängermodelle darniederliegen, so sie noch nicht gestorben sind. Siehe dazu den Playboy als kapitalistischen Großkotz mit Hang zum Eiswürfelgeklimper am Kaminfeuer in Saint-Tropez, der in Zeiten der Weltwirtschaftskrise kein Idol mehr sein kann – und heute etwa als exministrabler B-Promi in der Klatschspalte noch bizarrer erscheint als, sagen wir, Flavio Briatore (was man erst einmal schaffen muss). Männer wie Keith Richards – jahrzehntelanges Lebensmotto: „Die besten Partys sind die, an die man sich nicht mehr erinnert“ – wiederum sind im Normalfall tatsächlich tot oder werden heute nur mehr in der Weicheiervariante als Charlie Sheen hergestellt. Kurz: Das geht sich nicht aus.

So ist es wenig verwunderlich, dass Vorbilder für die Figur des Hank Moody am ehesten noch der Lumpenliteratur entnommen wurden. Zwischen den Anfängen eines Henry Miller, als dieser sich in „Sexus“ noch als Versager porträtierte, der das Feuer des Genies bereits in sich lodern spürte, und dem aufrecht zwischen Sauferei und Pferdewetten angesiedelten Erzählungen eines Charles Bukowski finden sich die Anknüpfungspunkte, die im dekadenten Los Angeles allerdings von einer Überflussgesellschaft und ihren Begleiterscheinungen vereinnahmt werden.

In der fünften Staffel wird übrigens nicht nur dem Modell der Patchworkfamilie noch stärker als bisher Rechnung getragen, sondern über eine neue Rolle des US-Rappers RZA (Wu-Tang Clan) als Hip-Hop-Mogul kein sinnloser Spaß ausgelassen. Man kann Charles Bukowski vieles unterstellen, keinesfalls aber, uns nicht eindringlich gewarnt zu haben. „Die meisten Männer verstehen überhaupt nicht zu leben, sie nutzen sich nur ab.“ In diesem Sinne!

(Wiener Zeitung, 7./8.1.2012)

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