Nach 14 Jahren ohne Album und 27 ohne David Lee Roth sind Van Halen zurück. „A Different Kind Of Truth“ heißt auch: Weitermachen, nicht aufgeben!
Dass mit einem Comeback der Stadionrocker Van Halen nicht mehr zwingend zu rechnen war, hat mehrere Gründe. Zum einen wurde die bereits in den 90er-Jahren als Relikt einer vergangenen Zeitrechnung geltende Band um die Brüder Eddie und Alex Van Halen an Gitarre und Schlagzeug wahlweise nicht mehr registriert oder milde belächelt. Zum anderen war das von seinen Sängern eins und zwei, David Lee Roth und dessen Erstsubstitut Sammy Hagar, im Streit geschiedene Quartett schon immer als rechter Sauhaufen verschrien, was die Steigerungsformel Feind, Todfeind, Bandfreund betrifft. Abgesehen vom dritten und letzten Frontmann Gary Cherone ist kein Exkollege bekannt, mit dem sich Eddie Van Halen nicht zumindest temporär für immer zerstritten hätte – ein Umstand, für den rückblickend seine Alkoholabhängigkeit und die daraus resultierende, nun ja, unrunde Gemütsverfassung verantwortlich gemacht wurde.
Dazu kam, dass man sich um Eddie Van Halen seit dem bis heute letzten Album seiner Band, dem auch von Die-Hard-Fans nur mehr semimotiviert verteidigten „Van Halen III“ (1998), durchaus sorgen musste. Nachdem der etwa aufgrund seines Radikal-Tappings als stilprägend gefeierte Gitarrist ein neues Hüftgelenk eingesetzt bekam, er wegen einer Zungenkrebserkrankung behandelt wurde, nach seiner Scheidung endgültig dem Alkohol verfiel und aufgrund einer Entziehungskur auch zur Aufnahmefeier Van Halens in die „Rock and Roll Hall of Fame“ nicht erscheinen konnte, sah es lange Zeit düster aus. Vor allem auch die labelseitige Kündigung des seit 1978 bestehenden Plattenvertrages trug dazu bei, dass – abgesehen von drei einzelnen Songs – vierzehn Jahre lang kein neues Material von Van Halen erscheinen sollte.
In Erinnerung behielt man die Band also als Breitbeine in Spandexhosen, deren Ursprünge bis zum Ausstieg Roths 1985 im Hardrock lagen, ehe Eddie Van Halen mit dem leidlich bekannten Welthit „Jump“ auf Synthie-Rock schwenkte und mit weichgespülten Keyboardarrangements auch das Formatradio für sich eroberte. Es folgten die stillosesten Musikvideos aller Zeiten, Pudelfrisuren, wie sie von Frauen in ländlichen Kleinstädten noch zehn Jahre später getragen wurden, und solchermaßen auch die Grundlage für karikaturistische Hommage-Bands wie The Darkness. Kurz: Schlechter Geschmack war keine Begleiterscheinung – er war der Antriebsmotor und das Hauptprodukt von Van Halen.
Zur Freude des Stadions
Allfällige Gerüchte um ein Comeback gemeinsam mit David Lee Roth, die sich 2007 mit einer USA-Tour bestätigen sollten, gipfeln nun im neuen Studioalbum „A Different Kind Of Truth“: Insgesamt dauert es dabei nur drei Sekunden, bis die erste aufröhrende Gitarre erklärt, dass sich in der Zwischenzeit exakt gar nichts verändert hat. Stur bleiben, weitermachen. Nur nicht aufgeben oder sich vom Zeitgeist beeindrucken lassen. Daheim-bleiben-Wollende soll man nicht mit Reiseplänen verunsichern. David Lee Roth in einem neuen Stück namens „The Trouble With Never“: „When was the last time you did something for the first time?“ Ja bitte, wann?
Erstaunlich dabei: Teils auf Demos aus den 70er-Jahren basierende oder zumindest ästhetisch an das Frühwerk anknüpfende Hadern wie „Big River“ mit seinem Zeltfestbass oder der Wah-Wah-Funk von „She’s The Woman“ unterhalten tatsächlich. Mit Sohnemann Wolfgang (!) Van Halen als neuem Bassisten fällt der Sound kaum je altersmilde aus, während Eddie Van Halen schwache Songs wie „Honeybabysweetiedoll“ im Alleingang über die Ziellinie trägt. Dazu kommen neben verstärkt eingesetztem Sprechgesang oder der obligatorischen Van-Halen-Triole auch Collegerock-Anklänge („You And Your Blues“) und Boogie-Metal („Stay Frosty“).
Wo-hoo, oh yeah – es ist nur Rock ’n’ Roll! Keine Großraumarena wird sich von diesen Liedern enttäuscht zeigen können.
Van Halen: A Different Kind Of Truth (Universal)
(Wiener Zeitung, 3.2.2012)
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