In der Nacht auf
Montag wurden in Los Angeles zum 54. Mal die Grammys verliehen.
Als am Vortag
der 54. Grammy-Verleihung Whitney Houstons Entdecker Clive Davis seine Warm-up-Party
nicht absagte und die Veranstaltung nur wenige Stockwerke vom Todesort der kurz
zuvor verstorbenen Sängerin entfernt über die Bühne ging, war damit vor allem ein
altes Branchengesetz in Erinnerung gerufen: Die Show muss weitergehen.
Die
Grammys selbst starteten tags darauf mit einem Auftritt von Bruce Springsteen
und dessen E Street Band in den Abend, ehe Moderator LL Cool J das Tempo wieder
herausnahm und ein Gebet für die US-Sängerin sprach. Abgesehen von vereinzelten
Trauerbekundungen und Jennifer Hudsons Tribut mit „I Will Always Love You“ ging
die Preisverleihung im Weiteren aber wie geplant über die Bühne.
Systemerhaltungs-Event
Systemerhaltungs-Event
Die
Grammys sind ein Systemerhaltungsevent. Wie auch immer es der Branche aktuell
gehen mag – und ihrer Talfahrt über das letzte Jahrzehnt zum Trotz –, sie
feiert sich selbst. Ausgezeichnet wird bis hin zum „Besten Albumbegleittext“ eigentlich
alles und jeder, wenngleich eine Verschlankung von 108 Kategorien im Vorjahr
auf aktuell „nur mehr“ 78 vorab für Kritik gesorgt hatte. Und abgesehen vom
daraus resultierenden Kauderwelsch im Konzertprogramm, das konservativen
Hillybilly-Country neben die bizarre B-Musical-Inszenierung einer Nicki Minaj
stellte, wurde die Veranstaltung am Sonntag vor allem als nostalgische
Nabelschau auffällig. Weil die Gegenwart auch nicht mehr ist, was sie einmal
war, ließen Tony Bennett oder Paul McCartney, der barhockerjazzte und den Abend
mit einer Erinnerung an die Beatles beendete, doch tatsächlich vermuten, alte
Männer wie sie regierten die Welt. Neben einem Auftritt der erstmals seit über zwanzig
Jahren mit Brian Wilson vereinten Beach Boys gemeinsam mit den Jungspunden von
Maroon 5 und Foster The People besonders berührend war diesbezüglich der zart
verwirrte Bühnenabschied des Countrypopsängers Glen Campbell, der an Alzheimer
leidet.
Die
unbestrittene Heldin des Abend war mit sechsfachem Grammy-Segen – darunter auch
in den Hauptkategorien Album, Song und Single des Jahres – die britische
Sängerin Adele, deren Blue-Eyed-Soul gemeinsam mit ihrer sympathischen
Erscheinung als überzeugte Self-made-Woman publikumsübergreifend für Konsens
sorgte. Mit zittriger Stimme und letztendlich unter Tränen bedankte sich die
23-Jährige auch bei jenen Ärzten, die ihr nach karrierebedrohenden Stimmbandproblemen
schließlich auch zum Live-Comeback verhalfen, das bei den Grammys mit „Rolling
In The Deep“ über die Bühne ging.
Sensible Jungmännerkunst
Sensible Jungmännerkunst
Als
„Bester neuer Künstler“ und für das „Beste Alternative-Album“ wiederum wurde
Justin Vernon alias Bon Iver ausgezeichnet, dessen sensible Jungmännerkunst den
Anspruch stellt, auf einen autarken „Auteur“ zurückzugehen – eine Haltung, die
der Songwriter in seiner Rede mit dem bemühten Bekenntnis unterstrich, sich auf
der Grammy-Bühne unwohl zu fühlen. Ironischer
moderierte Schauspieler Jack Black einen Auftritt der Foo Fighters außerhalb
des Staples Center an, um seiner „Indie-Credibility“ nicht verlustig zu gehen.
Dass die Foo Fighters (5 Grammys!) selbst später zum Crossover mit David Guetta
luden, war dann auch schon egal.
Während
Bruno Mars seine Darbietung in Richtung Elvis und James Brown deutete und
Coldplay sich mit Rihanna in künstlerischer Beliebigkeit suhlten, blieb am Ende
dieses Abends auch eines stehen: Die US-Hip-Hop Größen Kanye West und Jay-Z waren
an ihren Auszeichnungen desinteressiert – und blieben der Veranstaltung gleich
überhaupt fern.
(Wiener Zeitung, 14.2.2012)

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen