Montag, Februar 13, 2012

Nostalgische Nabelschau

In der Nacht auf Montag wurden in Los Angeles zum 54. Mal die Grammys verliehen.

Als am Vortag der 54. Grammy-Verleihung Whitney Houstons Entdecker Clive Davis seine Warm-up-Party nicht absagte und die Veranstaltung nur wenige Stockwerke vom Todesort der kurz zuvor verstorbenen Sängerin entfernt über die Bühne ging, war damit vor allem ein altes Branchengesetz in Erinnerung gerufen: Die Show muss weitergehen.

Die Grammys selbst starteten tags darauf mit einem Auftritt von Bruce Springsteen und dessen E Street Band in den Abend, ehe Moderator LL Cool J das Tempo wieder herausnahm und ein Gebet für die US-Sängerin sprach. Abgesehen von vereinzelten Trauerbekundungen und Jennifer Hudsons Tribut mit „I Will Always Love You“ ging die Preisverleihung im Weiteren aber wie geplant über die Bühne. 

Systemerhaltungs-Event

Die Grammys sind ein Systemerhaltungsevent. Wie auch immer es der Branche aktuell gehen mag – und ihrer Talfahrt über das letzte Jahrzehnt zum Trotz –, sie feiert sich selbst. Ausgezeichnet wird bis hin zum „Besten Albumbegleittext“ eigentlich alles und jeder, wenngleich eine Verschlankung von 108 Kategorien im Vorjahr auf aktuell „nur mehr“ 78 vorab für Kritik gesorgt hatte. Und abgesehen vom daraus resultierenden Kauderwelsch im Konzertprogramm, das konservativen Hillybilly-Country neben die bizarre B-Musical-Inszenierung einer Nicki Minaj stellte, wurde die Veranstaltung am Sonntag vor allem als nostalgische Nabelschau auffällig. Weil die Gegenwart auch nicht mehr ist, was sie einmal war, ließen Tony Bennett oder Paul McCartney, der barhockerjazzte und den Abend mit einer Erinnerung an die Beatles beendete, doch tatsächlich vermuten, alte Männer wie sie regierten die Welt. Neben einem Auftritt der erstmals seit über zwanzig Jahren mit Brian Wilson vereinten Beach Boys gemeinsam mit den Jungspunden von Maroon 5 und Foster The People besonders berührend war diesbezüglich der zart verwirrte Bühnenabschied des Countrypopsängers Glen Campbell, der an Alzheimer leidet.

Die unbestrittene Heldin des Abend war mit sechsfachem Grammy-Segen – darunter auch in den Hauptkategorien Album, Song und Single des Jahres – die britische Sängerin Adele, deren Blue-Eyed-Soul gemeinsam mit ihrer sympathischen Erscheinung als überzeugte Self-made-Woman publikumsübergreifend für Konsens sorgte. Mit zittriger Stimme und letztendlich unter Tränen bedankte sich die 23-Jährige auch bei jenen Ärzten, die ihr nach karrierebedrohenden Stimmbandproblemen schließlich auch zum Live-Comeback verhalfen, das bei den Grammys mit „Rolling In The Deep“ über die Bühne ging.

Sensible Jungmännerkunst

Als „Bester neuer Künstler“ und für das „Beste Alternative-Album“ wiederum wurde Justin Vernon alias Bon Iver ausgezeichnet, dessen sensible Jungmännerkunst den Anspruch stellt, auf einen autarken „Auteur“ zurückzugehen – eine Haltung, die der Songwriter in seiner Rede mit dem bemühten Bekenntnis unterstrich, sich auf der Grammy-Bühne unwohl zu fühlen. Ironischer moderierte Schauspieler Jack Black einen Auftritt der Foo Fighters außerhalb des Staples Center an, um seiner „Indie-Credibility“ nicht verlustig zu gehen. Dass die Foo Fighters (5 Grammys!) selbst später zum Crossover mit David Guetta luden, war dann auch schon egal.

Während Bruno Mars seine Darbietung in Richtung Elvis und James Brown deutete und Coldplay sich mit Rihanna in künstlerischer Beliebigkeit suhlten, blieb am Ende dieses Abends auch eines stehen: Die US-Hip-Hop Größen Kanye West und Jay-Z waren an ihren Auszeichnungen desinteressiert – und blieben der Veranstaltung gleich überhaupt fern. 

(Wiener Zeitung, 14.2.2012)

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