Es
rappelt im Karton – Claire Boucher ist wieder zurück, und sie hat neue crazy Sounds
mitgebracht. Das klingt nun so: Auf Basis gut abgehangener Sequencerbässe, wie
man sie vom Synthie-Pop der frühen 1980er-Jahre her kennt, verbreiten gerne
auch dem Kitsch verpflichtete, käsige Synthesizer ihren durchaus zweifelhaften
Charme. Während sich die Beats anhören, als wäre hier die Guttenberg-Methode
angewandt worden, um Prince („When Doves Cry“) oder Depeche Mode („Everything
Counts“) mit den Stücken „Colour Of Moonlight (Antiochus)“ und „Circumambient“
zur minimalen Nachbearbeitung nur kurz durch den Laptop zu schicken, erinnern
die Sounds etwa daran, dass die unter ihrem Alias Grimes bekannte Kanadierin gerne
auch den microKORG-Synthesizer verwendet, wenn sie nicht gerade die Soundbänke der
U-96-Version von Klaus Doldingers Filmmusik zu „Das Boot“ auf ihre
Wiederverwertbarkeit hin untersucht.
Singende
Bordcomputer
Auf
ihrem nun vorliegenden und mittlerweile dritten Album, „Visions“, gilt eine
alte Weisheit nicht: Das Zurücksetzen von Standardklängen – „Reset the preset!“
– wird tunlichst vermieden; stattdessen plingen und plongen die Keyboards bei
ihrem Dienst dann doch lieber auf Werkseinstellung.
Harmonisch
wird bei fernöstlichen Anklängen so getan, als wäre ein Soundtrack zu
japanischen Anime-Streifen zu komponieren. Dazu kommen die düster-romantischen
Züge früher Gothic-Songs genauso wie die naive Aura einer Madonna zur Glanzzeit
des Kaugummipop, die Esoterik von Enya und das Wissen um mehr oder minder
zeitgenössische R-’n’-B -Produktionen, die nicht nur mit billigen
Plastikkeyboards ihre Spuren hinterlassen. Verdrogte, nach singenden
Bordcomputern klingende Vocoderstimmen unterstützen die Rhythmusgruppe,
verfremdete Harfen drängen als klingelnde Kristalle klirrend ins Klangbild.
Dass
das alles aber nicht weiter ins Gewicht fällt, hat mit der Stimme von Claire Boucher
zu tun. Die Frau singt in etwa so, als würden vier nordkoreanische
Nachrichtensprecherinnen gleichzeitig den Tod ihres „lieben Führers“ betrauern.
Wahlweise darf man auch an zappelige Kleinkinder denken, die bei ihrer
Geburtstagsfeier wieder einmal zu tief in den Heliumballon von Ronald McDonald
geschaut haben. Vor allem auch die mit reichlich Hall verhangenen
Gesangsschlieren sind mit ein Grund, warum der postmoderne Synthie-Pop von
Grimes gerne über die Nachwehen des zerfahrenen Witch-House-„Genres“ rezipiert wird.
Die auch privat vom Forschungsfeld der Dämonologie angezogene Sängerin hätte
mit nämlichem Organ entsprechend von Grusel und Spuk erzählende Texte
vorzutragen, würden diese nicht selbst als flüchtige Gespenster unverstanden im
Raum verpuffen.
Melancholischer
Tanz
Kurz:
Obwohl sich die erst 23-jährige Musikerin in ihrer Kunst vor allem mit fremden
Federn zu schmücken pflegt, sind den Ergebnissen gleich mehrere
Alleinstellungsmerkmale nicht abzusprechen. Nach dem 2010 zunächst noch als
Musikkassette (!) und Download im Eigenvertrieb erschienenen Album „Geidi
Primes“ und seinem rasch hinterhergeschobenen Nachfolger „Halfaxa“ setzt Claire
Boucher mit ihrem nun auf dem renommierten 4AD-Label veröffentlichten dritten
Streich folgerichtig zum Durchbruch an. Wenn die augenscheinliche Do-it-yourself-Haltung
des Projekts dabei auch beibehalten wurde, so sind die Pop-Ambitionen von
Grimes heute doch deutlicher vernehmbar – was wiederum nicht heißen soll, dass
man etwaige Mitbewohner, Nachbarn oder Arbeitskollegen mit dieser Musik nicht
weiterhin bis aufs Blut reizen könnte.
Vieles
an den Liedern von Claire Boucher mag wie mit dem Augenzwinkern einer
Kunststudentin ironisch gebrochen erscheinen, und doch stellt Grimes mit
„Visions“ beim melancholischen Tanz durch das Wohnzimmer einmal mehr klar, dass
es ihr mit ihrem Werk mehr als nur ernst ist. Das ist freilich nur halb so
unterhaltsam wie der böllernde Shoegazing- Elektro-Witch-House-Hop von Salem, es
geht sich aber trotzdem aus: Am Ende des Jahres wird Grimes auf zahlreichen
Bestenlisten ganz oben zu finden sein.
Grimes: Visions
(4AD)

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