Seit
dem Beginn seiner Karriere in den späten 90er-Jahren gilt Jack White als
sanfter Sanierer der musikalischen Vergangenheit für eine Generation der zu
spät Geborenen – und solchermaßen als großer Verführer. Als unbestrittenes
Genie wie auch als latenter Schelm, was die Tradition (und die erneute Begehung
ihrer breit ausgetretenen Pfade) betrifft, entwickelte sich der gelernte
Tapezierer zum Alternative-Helden ebenso wie zum Big Player im Geschäft.
Immerhin
sorgte der in Detroit geborene Multiinstrumentalist gemeinsam mit seiner Exfrau
Meg White als The White Stripes für die Rückkehr des Rock ’n’ Roll in die
Charts, um, im Wissen um Garagenrock und Punk, einen Brückenschlag über die
Ur-Suppe des Faches im Delta Blues zu ermöglichen. Abgesehen von seinen
weiteren Bands, The Raconteurs und den von psychedelisch angehauchten
Bluesrock-Jams bestimmten The Dead Weather, dürfen die Fäden mit seinen in
Nashville ansässigen Third Man Records längst auch aus dem Hintergrund gezogen
werden. Von dort aus produzierte White alte Heldinnen zwischen Rockabilly
(Wanda Jackson) und Country (Loretta Lynn) sowie zuletzt auch den ewigen Lumpi
Tom Jones, wenn er die Öffentlichkeit nicht gerade mit dem James-Bond-Titelsong
„Another Way To Die“ im Duett mit Alicia Keys oder den Spaghetti-Western-Sounds
von Danger Mouse und Daniele Luppi an der Seite von Norah Jones überraschte.
Verbale Patronen
Für
sein Debüt als Solokünstler hat sich der 36-Jährige nun den Titel „Blunderbuss“
ausgedacht – die beschworene Donnerbüchse feuert dabei vor allem verbale Patronen
ab. Nicht wenige der dreizehn neuen Songs sind als Abrechnung mit der Damenwelt
lesbar, die aber auch nach Whites Scheidung vom britischen Topmodel Karen Elson
nicht autobiografisch gedeutet werden sollte. Zum einen arbeitete White schon
immer mit starken Frauen zusammen, zum anderen stimmt seine in aller
Freundschaft mit der Freiheit beschenkte Ex in den Backgroundchor ein, während
er selbst über physisch und psychisch verletzende Frauen sinniert oder sich
über die fehlende Moral einer Verflossenen erregt, die auch noch ihren toten
Bruder verkaufen würde. Am ehesten scheinen diese Flüche als Blues des
leidenden Mannes mit Whites Entscheidung zusammenzugehen, musikalisch abermals
auf Hillbilly- und Wild-West-Szenarien zu setzen, in denen Männer mit allzu
viel Manieren schon immer den Kürzeren zogen. Die Härte dieser meist mit
gewohnt aufgekratzter Stimme vorgetragenen Zeilen gipfelt erstaunlicherweise in
der Vorab-Single „Love Interruption“, hinter der sich, von einer Klarinette
umrahmt, die lieblichsten Klänge des Albums verstecken: „I want love to / roll
me over slowly / stick a knife inside me / and twist it all around …“
Countrywalzer
Ansonsten
bündelt „Blunderbuss“ die Kernkompetenzen Whites, um ihnen die eine oder andere
Facette hinzuzufügen. Trotz einer Fokussierung auf das Notwendigste, die den
eingesetzten Mitteln wiederum maximale Bedeutung verleiht, ist die
radikal-spartanische Ader von einst doch Geschichte: Fender Rhodes, Geigen und Klavier
drängen mit mitunter ungewohnt lyrischen Motiven ins Klangbild, wodurch die
besten Songs des Albums diesmal auch nicht im Haudrauf-Fach, sondern im
Balladen- und Midtempobereich liegen: Das erhabene „Hypocritical Kiss“ mit
seinem Stummfilmklavier oder das Titelstück als Countrywalzer mit heulenden
Steel-Gitarren untermauern Whites Grandezza als Songwriter mit Nachdruck. Abgerundet
wird der erhebliche Folkanteil dieses Solodebüts von „Hip (Eponymous) Poor
Boy“, einem beschwingten Honkytonk-Schunkler, und dem von hübsch antiquierten Dosengesängen
bestimmten „I Guess I Should Go To Sleep“.
Das
groovezentrierte Rudy-Toombs-Cover „I’m Shakin“ wiederum zitiert den großen Bo
Diddley, während „Trash Tongue Talker“ den Rockabilly-Boogie gibt und White bei
„Weep Themselves To Sleep“ mit einem prototypisch durchgeknallten Knarz-Solo
aufhorchen lässt. Nach 42 starken Minuten fehlt nur mehr eines zum Glück: die Nachricht
von einem baldigen Wien-Konzert.
Jack
White: Blunderbuss (XL Recordings / Beggars Group)
(Wiener Zeitung, 28./29.4.2012)

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