Dienstag, November 27, 2007

Das Böse ist immer und überall

Marilyn Manson gastierte in Wien – das Stadthallen-Publikum nahm es zur Kenntnis.

"Fight! Fight! Fight! Fight!" Marilyn Manson hat sich gerade als Profiboxer verkleidet. Auf einem mit roten Samtseilen angedeuteten Boxring geht es nun darum, uns das Anliegen seines auf grobschlächtigen Gitarrenriffs gebauten Hits "The Fight Song" aus 2001 zu erläutern. Darin will sich der wahlweise als "Antichrist Superstar" oder "Schockrocker" titulierte, 1969 als Brian Hugh Warner in Ohio geborene Musiker, Absinth-Produzent und Aquarellmaler einem Gott widersetzen, der seinem (Un-)Glaubensbekenntnis zufolge ohnehin nicht existiert. Und er will einer Welt Einhalt gebieten, die sich einen Dreck um uns schert.

Alles gut und schön, allerdings: Der Kampf ist aussichtslos. Nach dem als letzte Nummer im regulären Set gereichten Schlachtgesang "The Reflecting God" wird am Montagabend in der Wiener Stadthalle kaum jemand jubeln. Das spricht zwar Bände. Die buchstäbliche Begräbnisstimmung steht diesem Konzert allerdings auch gut an. Immerhin haben wir es hier mit einer Kunstfigur zu tun, die als breitenwirksamste Vertreterin des diabolisch eingefärbten Rock ’n’ Roll in ihrem Schaffen vor allem das Jenseits fokussiert.

Auf Mansons aktuellem Album, "Eat Me, Drink Me", geschieht das etwa über die Verhandlung der Liebe angesichts des Todes. Wir hören das an den Gothic-Rock der 80er Jahre gemahnende "Heart-Shaped Glasses" oder den eingangs auf einer von Kerzen übersähten Bühne gegebenen Pathos-Stampfer "If I Was Your Vampire". Alte, das Publikum heute aber auch nicht in Fahrt bringen könnende Gassenhauer wie "Lunchbox" ("Next motherfucker’s gonna get my metal!") oder das programmatische "Antichrist Superstar" definieren sich hingegen über ihre einstige Schockwirkung zwischen Gewaltandrohung und einer grundsätzlichen Neigung zum immer und überall ausgemachten Bösen, Teuflischen.

Davon erwartete sich die Plattenfirma einst hohe Rendite. Sie schüttete große Etats für Musikvideos aus, in denen Manson seiner Vorliebe für von Bondage-Sex, Selbstgeißelungen und außer Kontrolle geratenen Sezierkursen schwer deformierte Körper nachkommen durfte.

Die Luft ist 'raus

Mitunter sorgen Hits wie "Disposable Teens", "The Beautiful People", das Rockstarklischees ironisch auseinander nehmende "Dope Show" sowie "mOBSCENE" aus Mansons mit dem Berlin der 1920er Jahre kokettierender Schaffensphase für Druck.

Von der durch die Zusammenarbeit mit dem österreichischen Künstler Gottfried Helnwein um 2003 veredelten Konzeptkunst bleibt live aber nur wenig über. Unnötig zu erwähnen, dass Manson nach gut 14 Jahren im Geschäft als heute im Mainstream eingenisteter "Superstar" nicht mehr zu verstören vermag. Da hilft es nicht, sich während einer im Zugabenblock mit faschistischer Symbolik aufgeladenen Bühnenshow als großer Diktator zu gebärden. Das ist keine Provokation. Das ist einfach nur schwach. Schwach wie der Zustrom in die bei abgesperrten Rängen nicht annähernd ausverkaufte Stadthalle.

(Wiener Zeitung, 28.11.2007)

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