Dienstag, Januar 08, 2008

Die Hinwendung zum Musikereignis

Der Musikbranche geht es schlecht - doch der Livesektor boomt.

Wien. Der Musikbranche geht es schlecht, das ist nichts Neues. Doch während rückgängige CD-Verkäufe den Labels und Vertrieben schwer zusetzen und sich mittlerweile auch renommierte Acts mit neuen Konzepten der Abhängigkeit von großen Musikkonzernen entziehen – die britische Band Radiohead stellte ihr siebtes Studioalbum „In Rainbows“ im Oktober des Vorjahres auf ihrer Homepage zum Download bereit und nahm dafür freiwillige Spenden an –, boomt der Livesektor. Eine Entwicklung, die sich hierzulande etwa in der Genese großer Musikfestivals festmachen lässt: Am Salzburgring residiert seit 2002 das FM4-Frequency-Festival; das heuer seine vierte Saison einläutende Nova Rock lockt 50.000 Besucher pro Tag ins burgenländische Nickelsdorf, es gilt somit als größte derartige Veranstaltung.

Aber auch abseits der Sommerfestivals wird das Konzertprogramm immer dichter. Alleine der österreichische Marktführer unter den Konzertveranstaltern, Novamusic, organisierte im vergangenen Jahr rund 200 Gigs, die meisten davon freilich in Wien.

Was die Branche – und zwecks Umwegrentabilität auch den Tourismussektor – freut, wirft auch für den Popliebhaber Vorteile ab. Bedeutet der Weg in die Konzerthallen doch eine Hinwendung zum lebendigen Musikereignis, an dessen Magie der Konsum im stillen Kämmerchen nicht herankommt. Das Bewusstsein, einem – zumindest scheinbar – einzigartigen, nicht wiederholbaren Ereignis beizuwohnen, die Flüchtigkeit des Moments und die Tatsache, seinen Helden nun auch „in echt“ gegenüberzustehen, gelten als ungemeiner Mehrwert: Man darf, frei nach Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, den Begriff der Aura verwenden.

Dafür ist der Konsument nach wie vor bereit, ordentliche Summen auszugeben: Festivaltickets um gut einhundert Euro sind – vor allem angesichts der jungen Zielgruppe – kein Pappenstiel; die Wiener Stadthalle hält derzeit bei durchschnittlichen Kartenpreisen von rund 50 Euro.

Das Konzertjahr 2008 scheint jedenfalls spannend zu werden, dafür sprechen die bereits bestätigten Termine für das erste Halbjahr. Der Jänner beginnt nach der obligatorischen Weihnachtspause noch zäh. Konzerte der britischen Newcomer The Enemy, die in Großbritannien bereits in einem Atemzug mit abgefeierten Jungspunden wie den Arctic Monkeys genannt werden, machen den Anfang (13.1., Flex). Gefolgt von einem Auftritt des tollen US-amerikanischen Songwriters Sam Beam alias Iron & Wine am 16. Jänner in der Szene Wien, steuert das Jahr auf die ersten großen Namen zu: Ex-Libertines-Vorstand Pete Doherty wird dann mit den Babyshambles in der Arena gastieren (27.). Nach einigen, hauptsächlich drogenbedingt geplatzten Konzerten der Band und Solokonzerten Dohertys in einem Grazer Pornokino sowie in der Bundeshauptstadt, soll es diesmal ernst werden. Wer’s glaubt! Der Termin ist jedenfalls restlos ausverkauft. Die unlängst in neuer Besetzung wieder belebten Smashing Pumpkins, im letzten Jahr bereits am Nova Rock zu Gast, bespielen am 31. desselben Monats die Wiener Stadthalle.

Der Februar bringt neben der Nu-Metal Band Korn (20., Gasometer) auch den ehemaligen Chef von Atari Teenage Riot und Soundterroristen Alec Empire nach Wien (21., Flex), auch alte Bekannte wie die Stars aus Kanada (13., Flex), Queens Of The Stone Age (21., Gasometer), Mando Diao (28., Stadthalle) oder die verdienten Düsterromantiker The Cure (23., Gasometer) schauen vorbei. Schon jetzt als Highlight des Jahres darf allerdings ein rares Gastspiel von Neil Young bezeichnet werden (22., Austria Center). Nach der Operation an einem lebensbedrohenden Hirnaneurysma hatte dieser mit „Living With War“ oder dem zuletzt erschienenen „Chrome Dreams II“ wieder tolle Arbeiten abgeliefert. Großes steht ins Haus!

Im März darf man sich im ausnahmsweise bestuhlten Wiener WUK Mark Everetts wunderbare Eels geben (10.), die dumpfen Goth-Popper HIM führen Paradise Lost im Schlepptau (11., Gasometer), das im Dezember kurzerhand verschobene Konzert von I Am Kloot wird nachgeholt (23., Szene Wien). Das norwegische Kollektiv Kaizers Orchestra sorgt im April mit neuem Album für fetten Humppa-Sound (10., Arena), ehe die Einstürzenden Neubauten in die Arena einfallen (14.). Auch das ein Highlight, hat die Band mit „Alles Wieder Offen“ doch zuletzt eine ihrer besten Arbeiten eingespielt. Tags davor in der Stadthalle: Die Erste Allgemeine Verunsicherung, nun ja. Indierock aus Schweden bieten im selben Monat The Horror The Horror (28., WUK), während zur selben Zeit bereits das auf die Subkultur spezialisierte Donaufestival über die Bühne geht (24.4. – 3.5.).

Der Mai bringt Kylie Minogue nach Wien (14. Stadthalle), die mit ihrem aktuellen Album zwar keinen Geniestreich ablieferte. Fans dürfen sich aber auf ein Wiedersehen mit der 2005 an Brustkrebs erkrankten Sängerin freuen. Am vierten Juni stellen Bon Jovi ihre neuen Fönfrisuren im Ebreichsdorfer Magna Racino vor, das Nova-Rock-Festival geht von 13. bis 15. wie gewohnt in Nickelsdorf über die Bühne, „Sir“ Elton „I’m still standing“ John spielt am Tag vor dem EM-Finale auf der Hohen Warte (28.6.). Als wäre das nicht genug, kommt auch noch Celine Dion nach Wien (1.7., Stadthalle) – im Rahmen ihrer ersten Welttournee nach einem fünfjährigen Engagement als Sängerin in Las Vegas: „My heart will go on…“

(Wiener Zeitung, 6./7./8.1.2008)

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