Sonntag, Juli 06, 2008

Subtil klingt anders

Als Lou Reeds Konzeptalbum „Berlin“ 1973 erschien, waren Kritik und Publikum nicht begeistert. Zu depressiv, zu düster, zu verstörend gestalteten sich die darauf gebotenen Lieder über verhängnisvolle Liebe, Gewalt, Drogenmissbrauch und Selbstmord als schattseitige Kunde einer Gesellschaft ohne Hoffnung.

Ein harter Schlag für Reed, der als Gründungsmitglied der verdienten, von Andy Warhol geförderten und bis heute höchst einflussreichen, ja, Artrock-Band The Velvet Underground Rockgeschichte geschrieben, und auch als Solokünstler mit „Walk On The Wild Side“ 1972 bereits einen ersten Welthit verbucht hatte.

Erst viel später wurde die Klasse des semi-symphonischen Songzyklus erkannt. Vor zwei Jahren schließlich beschloss Reed, das Werk gemeinsam mit einem Mädchenchor, Orchester und Band vor einem Bühnenbild des US-amerikanischen Malers und Regisseurs Julian Schnabel und mit zugespielten Videoclips als groß angelegtes Spektakel in voller Länge live wiederaufzuführen. Um sich somit verspätet, aber nachhaltig jene Anerkennung abzuholen, die ihm schon vor mehr als dreißig Jahren hätte beschieden sein sollen.

Die von teils jubilierenden Berichten mit Vorschusslorbeeren bedachte Aufführung erwies sich am Freitag im nur mäßig gefüllten Gasometer aber als durchwachsen. Zwar wurde mit Unterstützung einer Abordnung des London Metropolitan Orchestra und einer sichtlich in Spiellaune befindlichen Band auf hohem Niveau musiziert.

Weit ausufernde, tatsächlich gut zum Jazz Fest Wien passende Instrumentalpassagen inklusive übermotivierter Gitarren- und Basssoli waren hier aber vor allem der eigenen Virtuosität geschuldet. Und nicht der ursprünglichen, häufig beklemmenden Atmosphäre von „Berlin“, die dadurch in Grund und Boden gestampft, schlichtweg zerstört, oder erst gar nicht zugelassen wurde. Man muss von einer Rockoper sprechen und dieser vor allem eines vorwerfen: Mangelnde Subtilität.

Intensiver wurde es erst bei „Caroline Says II“ und dem kurz darauf gegebenen „The Bed“ – einem raren und kurzen Höhepunkt an tatsächlicher Dramatik. Allerdings lag auch das weniger an der Darbietung als an der Drastik des Themas. Immerhin wurde der Selbstmord einer Frau geschildert, deren Freund Reed als Erzähler intonierte, um das Geschehene im trockenen Sprechgesang so zu kommentieren:„But funny thing/ I'm not at all sad/ that it stopped this way“.

Nach einer souligen Version von „Satellite Of Love“, einem mit reichlich Bläsereinsatz gegebenem „Rock 'n' Roll“ und dem von greinenden Streichern umgarnten „Power Of The Heart“ im Zugabenblock endete der Abend mit viel Applaus eines nichtsdestotrotz begeisterten Auditoriums.

(Wiener Zeitung, 8.7.2008)

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