Mittwoch, April 22, 2009

Roh, rau und laut

Das britisch-schwedische Jointventure Razorlight gefiel im Wiener Gasometer

Dass das Kreativpotenzial des Indie-Rock enden wollend ist, sollte nicht nur vermutet werden dürfen. Ein Hang zum "more of the same" fällt auf, man frägt sich: Ist das eine neue Band, die wie eine alte klingt? Oder ist es eine alte Band, die wie eine neue klingen will, die wie eine alte klingt? So weit, so gähn.

Doch bestätigen Ausnahmen die Regel, die auf den Namen Pete Doherty hören und zumindest können, wenn sie wollen. Ähnliches gilt auch für Johnny Borrell, der aus Dohertys Ex-Band The Libertines hervorging und als Mastermind des britisch-schwedischen Jointventures Razorlight nicht nur von der hypehaschenden britischen Fachpresse für das Debüt "Up All Night" über den grünen Klee gelobt wurde.

Versteckt hinter einem hysterisch-überkandidelten Klangbild mit punktuell lyrischeren Zwischenspielen, konnte man Borrells Songwriter-Qualitäten erkennen. Nach dem auf souligen Sixties-Pop fokussierten Zweitling ist die Band mit dem am Dienstag im Wiener Gasometer live erst im Zugabenteil vorgestellten "Slipway Fires" in der kommerziellen Pop-Oberliga angelangt.

Zu der Meinung, dass dies nichts Schlechtes bedeuten muss, verführen Razorlight mit der formatradiotauglichen Single "Wire To Wire", deren Gospel-Einschlag zu Recht für feuchte Augen sorgt. Chapeau! Anderes, wie das nach Oasis klingende "North London Trash" oder "Tabloid Lover", das mit seinem Fönfrisuren-Refrain an das Grauen der 80er Jahre erinnert, gilt es zu überstehen. Ansonsten: Was für ein Abend!

Roh, rau, präzise und laut werden Hymnen wie "Stumble And Fall" oder "Rip It Up" nach dem von Stop-and-Go-Dynamik getragenen Opener "Back To The Start" von den Saiten gerissen. Bald schweißgebadet derwischt Borrell über die Bühne. Nur Gitarrist Björn Ågren, der heute aussieht wie ein Rabauke aus der Fankurve des FC Chelsea, steht stoisch wie ein Pfosten im Stadion seines Lieblingsvereins auf der Bühne herum.
Zu elegant melodieseligen Hits wie "America", oder "Golden Touch" darf dann auch gekuschelt werden. Toll!

(Wiener Zeitung, 23.4.2009)

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