Freitag, April 17, 2009

Popsongs von Outta Space

Die britische Pop-Institution Depeche Mode übt sich auf ihrem zwölften Album in Retro-Futurismus. Das gelingt aber nur teilweise.

Wenn die britische Pop-Institution Depeche Mode im Mai ihre Welttournee startet, ist eines neu: Diesmal werden keine Mehrzweckhallen bespielt, sondern große Freiluft-Stadien. Das mag zunächst befremden. Immerhin werden diese Arenen mit Musik assoziiert, die auf den Namen "Schweinerock" hört und von älteren, nie erwachsen werden wollenden Männern mit Bierbauch und nackten Frauenkörpern am Oberarm zielgruppengerecht für ältere, nie erwachsen werden wollende Männer mit Bierbauch und nackten Frauenkörpern am Oberarm noch einmal gespielt wird wie damals, als alles noch gut war. Schön war die Zeit!

Dass nun auch Depeche Mode in ihre Stadion-Phase eintreten, ist zwar auch mit dem desolaten Zustand der Musikindustrie und deren Versuch zu erklären, rückläufige Umsätze aus dem Tonträgerverkauf über den boomenden Live-Sektor zu kompensieren. Andererseits argumentiert Andrew Fletcher, Gründungsmitglied und Keyboarder der Band, in aktuellen Interviews ebenso nüchtern wie selbstbewusst, dass Depeche Mode einfach noch immer relevant seien. Nach bald drei Jahrzehnten im Geschäft läuft es für die Band kommerziell tatsächlich besser denn je.

Wie aber sieht es künstlerisch aus? Schließlich erinnert man sich, das Trio zuletzt 1997 mit dem exzellenten Erwachsenen-Pop auf "Ultra" in Hochform, im aktuellen Jahrtausend hingegen schon zwei Mal als kriselndes Unternehmen wahrgenommen zu haben. Es sei hier nur kurz das Album "Exciter" (2001) erwähnt, das vor allem als gröbere Schreibblockade von Mastermind Martin Gore in Erinnerung bleiben wird – ganz unbeachtet der Messlatte, die seit dem düsteren "Black Celebration" aus 1986 und über die große Phase mit "Violator" (1990) oder dem Rock mit Gospel und Soul kurzschließenden "Songs of Faith and Devotion" (1993) natürlich sehr hoch lag. Und es sei darauf hingewiesen, dass Sänger Dave Gahan im Folgenden die lapidare Forderung stellte, nach 21 Jahren als bloße Rampensau auch selbst Songs beisteuern zu dürfen. Wäre man ihm nicht entgegengekommen, hätte das wohl das Ende der Band bedeutet. So aber präsentierten sich Depeche Mode mit "Playing The Angel" 2005 als friedvolle Vereinigung, die mit vergrößertem Kreativzentrum und unter Regie des britischen Produzenten Ben Hillier zum guten alten Analog-Synthesizer zurückfand.

Der steht auch auf dem nun vorliegenden Album, "Sounds Of The Universe", wieder hoch im Kurs. Gepaart mit Martin Gores Leidenschaft, über Ebay Gerätschaften zur Erzeugung seltsamer elektronischer Fiep-, Pieps- und Blubberklänge zu erwerben, wird die Arbeit von einem teilweise vielleicht etwas überstrapazierten Retro-Futurismus bestimmt. Organische Elemente werden nur in homöopathischen Dosen kredenzt, und Hillier hat es geschafft, der Band die einst so zentralen Streicher zu nehmen.
Nur punktuell und in zärtlicher Zurückhaltung betupft Gore seine Gitarre; seine schmachtenden Background-Vocals sind es auch, die den Songs eine soulige Wärme einhauchen. Dazu mausert sich Gahan als Songwriter. Sein stampfend-polterndes "Hole To Feed" sowie die sinnliche Sehnsuchtsballade "Come Back" gehören zu den besseren Momenten des Albums.

Man könnte es aber auch so sehen: Neben einem generellen Trend zur Durchschnittlichkeit fällt Gahans noch etwas bemühte Suche nach fundierten Songstrukturen nicht weiter ins Gewicht. Gores metallisches "Little Soul" ist der Stimmungslage des Albums zuträglich, bleibt aber belanglos. Anderswo mangelt es der Produktion an Tiefe. Zu lieblos klingt der Drum-Computer, der sich durch "Fragile Tension" zieht, zu unsubtil der Beginn von "Perfect", dessen erhabener Refrain schließlich die Grandezza alter Tage in Erinnerung ruft. Das gelingt sonst auch noch mit dem atmosphärischen Opener "In Chains", der klugen Vorab-Single "Wrong", deren aggressiver Sprechgesang sich auf einen ordentlich aufgepimpten Beat bettet, oder dem radiotauglicheren "In Sympathy".

Den vorsichtig positiven Einschlag des Albums verantwortet mit "Peace" eine Art spirituell aufgeladener Synthie-Pop von Outta Space, mit dem Martin Gore die Überwindung seiner Alkoholsucht verhandelt, um eine bessere Zukunft auf Mutter Erde zu beschwören. "Peace will come to me." Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Depeche Mode: Sounds Of The Universe (EMI)

(Wiener Zeitung, 18./19.4.2009)

Keine Kommentare: