Zum Donaufestival 2009
Wien/Krems. Was ist Wirklichkeit? Was ist wahr, echt oder authentisch? Die Antwort darauf mag heute schwieriger sein denn je. Schließlich ermöglicht es der technische Fortschritt nicht nur, Realitäten daheim am Laptop künstlich zu simulieren. Die Wirklichkeit – und in Wahrheit will sie es ja auch nicht anders – kann damit auch prächtig manipuliert werden.
Im Banalen löschen wir die Ex-Freundin mittels Photoshop vom letzten Familientreffen. Auf einer anderen Ebene versuchen Politik, PR oder Glaubensgemeinschaften, ihre persönlichen Realitäten an den Endverbraucher zu bringen. Nur ein Spiel?
Frei nach Karl Popper gibt es die eine Wahrheit nicht. Man kann nur versuchen, sich dieser asymptotisch anzunähern. In diesem gedanklichen Umfeld begeht das Donaufestival unter künstlerischer Leitung von Tomas Zierhofer-Kin von 22. April bis 2. Mai seine fünfte Saison. Unter dem Motto "Fake Reality" versteht sich die wie üblich in Krems abgehaltene Veranstaltungsreihe laut Programmheft heuer als Versuch, "auf die Unwirklichkeit der Wirklichkeit unserer Zeit zu reagieren". Das mag in der Performance- und Medienkunst durchaus funktionieren. In der Hauptachse des Festivals, die sich überwiegend den Randbereichen des Pop verschrieben hat, führt das übergeordnete Thema aber ins Leere; zu groß ist die Bandbreite der eingeladenen Bands, zu unterschiedlich deren künstlerische Ausrichtung.
Heruntergebrochen auf den Alltag eines Rockmusikers kann der Bezug noch am ehesten über die wunderbaren Spiritualized so erklärt werden: Manchmal weiß man nicht, ob man es mit einem LSD-Trip oder dem wirklichen Leben zu tun hat. Kaum jemand kennt dieses Problemfeld besser als Jason Pierce, der seine Kunst gerne zwischen Rock, Country, Gospel und Elektronik symphonisch zu einem großen Spektakel aufbläst. Immerhin geht auf den 43-jährigen US-Musiker diesbezüglich auch einer der besten Albumtitel aller Zeiten zurück: "Taking drugs to make music to take drugs to."
Im Unterschied zum Vorjahr kommen heuer auch große Namen nach Krems: Sonic Youth um das kunstbeflissene Ehepaar Kim Gordon und Thurston Moore werden sich als zentralste Avantgarde-Rockband der 80er Jahre nach dem für ihre Verhältnisse eher enttäuschenden Arena-Konzert im August 2007 noch einmal beweisen müssen. Volle Kraft voraus!Zudem gibt es ein Wiedersehen mit dem New Yorker Androgynen Antony Hegarty (Antony & The Johnsons) und dessen sehnsuchtsvollem Werk aus berührenden, kammermusikalisch verzierten Klavierballaden.
Die über das hippe New Yorker DFA-Label netten Synthie-Pop und reichlich Do-It-Yourself-Elektronik veröffentlichenden Yacht fallen ebenso ein wie Kevin Martins Projekt The Bug, das auf eine harte Spielart von Dub, Ragga, Grime oder Dancehall vertraut, oder Alexander Ridha alias Boys Noize mit hypernervöser Frickel- und Fiepselektronik.
Erstmals vorstellig wird mit Moderat eine Quasi-Supergroup aus Modeselektor und Apparat, während Stereolab an ihren frankophilen Hybrid-Pop erinnern. Dazu kommen DJ-Sets von Luke Vibert und Aphex Twin sowie heimische Konzertbeiträge von Laptop-Zauberer Fennesz und dem queeren Alleinunterhalter Patrick Weber alias Crazy Bitch In A Cave. Sie sehen schon: Das lohnert sich – wirklich!
(Wiener Zeitung, 9.4.2009)
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