Betuliche Liedkunst: Regina Spektor, US-Songwriterin mit russischen Wurzeln, spielte im Wiener Gasometer
Regina Spektor hat ein großes Herz. Und sie umschreibt ihre daraus geschöpfte Kunst am Mittwoch im Wiener Gasometer über Song Nummer sieben im Set kurz und bündig so: "One More Time With Feeling".
Die aus Russland gebürtige Sängerin, deren bester Freund aus vielen weißen und schwarzen Tasten besteht, schielt mit ihren im Vortrag sympathischen, wenn auch durchwegs betulichen Liedern auf das Mädchen in uns. Eine Frau und ihr Klavier kämpfen gegen die Kälte dieser Welt. Und es besteht kein Zweifel: Meine Gefühle, deine Gefühle, kurz, unser aller Gefühle stehen an diesem vorweihnachtlichen Liederabend entschieden im Vordergrund.
Unterstützt von Schlagzeug und Streichern, die aufgrund eines ausgiebigen Solo-Teils ihrer Chefin heute nur Kurzarbeit leisten, wird dabei vor allem aus dem aktuellen Album "Far" gereicht. Darauf kredenzte Spektor zuletzt formatradiotauglichen Weichspül-Pop und solchermaßen den gefühlsduseligen Soundtrack für die US-Krankenhausserie unseres Misstrauens.
Rührstücke wie "Eet" oder "Laughing With" zeugen dabei zuallererst von einem: Nach durchaus verschrobenen Momenten auf ihrem Debütalbum "11:11" aus 2001 ist die heute 29-jährige Wahl-Amerikanerin über ihr Instrumentarium um Stromgitarre und Drum-Computer erweiternde Arbeiten wie "Soviet Kitsch" oder "Begin To Hope" spätestens jetzt doch etwas bieder geworden.
Immerhin durfte man die Sängerin vor allem auf der Textebene einst nicht unterschätzen. Wir erinnern uns an ihre schwarz-humorige Suizid-Hymne "Carbon Monoxide" und werden live bei "Poor Rich Boy" mit unserer Freundin am Schlagstock Zeugen einer angenehm unangenehmen Abhandlung. Auch eingedenk dessen weiß man mit aktuell moralapostolischen Ansagen wenig anzufangen. Zitat: "No one laughs at God when the doctor calls after some routine tests. No one’s laughing at God when it’s gotten real late and their kid’s not back from that party yet. No one laughs at God when their airplane starts to uncontrollably shake."
Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Regina Spektor beweist am Klavier sowie mit Dehnungsübungen am Stimmband als flotte Vokalakrobatin, dass sie auch einmal am Konservatorium war. Und sie hält ihr Publikum mit launigen Zwischenansagen am Schmäh. Das Kunsthaus, Hundertwasser und Kartoffelpuffer, vor allem Kartoffelpuffer, seien besonders toll an Wien. Und Maroni!
Lachen, Lächeln, Schmunzeln. Danach Stille. Fans von Regina Spektor tuscheln nicht. Sie sind Andachtslauscher vor dem Herrn. Das leiseste Konzert des Jahres!
(Wiener Zeitung, 18.12.2009)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen