Die ewigen Indie-Helden Tocotronic spielten zwei Abende in der ausverkauften Arena
An einem Sonntag im April des Jahres 1999 unternahm die Gruppe Tocotronic einen Ausflug mit dem Moped. Frustriert, weil im Proberaum der Akkordwechsel von e-Moll auf a-Moll auch beim 23. Versuch nicht funktionieren wollte, machte sie in Freiburg halt und hielt dort Ausschau nach der Pommesbude. Sie fand den hiesigen Drive-In einer US-amerikanischen Imbisskette ("Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk!" – "Doch, Arne!"), und bestellte Fritten, Burger und eine schöne Cola mit Eis. Auf Anraten der Bedienung ließ sich die Gruppe Tocotronic ein neues Angebot einpacken: Sie nahm den McPhail ("Nur ein Euro, Dirk!") dankend an und düste zurück in den Übungsraum.
Dort staunte sie nicht schlecht. Der McPhail schnappte sich eine Gitarre und erwies sich hinsichtlich ihrer Handhabung als wahrer Meister.
Rick McPhail, seit 2004 festes Mitglied der Gruppe Tocotronic und als solches vor allem live der klammheimliche Bandleader, brachte am Montag- und Dienstagabend also nicht nur sein Publikum zum Staunen. Im Rahmen zweier Wien-Konzerte zum aktuellen Album "Schall und Wahn" wunderten sich auch seine Freunde Dirk von Lowtzow, Arne Zank und Jan Müller an Stimme, Schlagzeug und Bass darüber, wie gut die Gruppe Tocotronic eigentlich klingen kann. Rick McPhail und seine Effektgeräte errichteten üppige Sound-Wände ("Gift"), doomten vor sich hin und streuten auch gerne ein Solo ein. Ohne dabei aber eines zu vergessen: Im Fall des Falles muss sich seine Band auch heute noch anhören können wie damals auf dem Schulhof. "Drüben auf dem Hügel", "Jungs, hier kommt der Masterplan" – ein Gitarrist und seine Zurückhaltung wurden Buddha. Rick McPhail, Gitarrengott, gib uns deinen Frieden!
Was mit der Band seit ihren Anfängen im Jahr 1993 passiert ist – der Abend erklärte es in Kurzform. Arne Zank erinnerte mit "Ich werde nie mehr alleine sein" an die spätpubertäre Strickjacken-Phase der Band, während es von Lowtzow als kunsthochschulstudentische Poem-Entäußerungsmaschine im gebügelten Sonntagshemd schon längst prätentiöser mag: "Der Flug der Töne / Aus der Asche / Durch die Luft / Von Bergeshöhen.. ."
Wir wurden Zeugen einer Zeitreise, die über ein Revival der Härte mit den Miniaturen "Sag alles ab" oder "Stürmt das Schloss" souverän zur lyrischen Versponnenheit von Liedern wie "Imitationen" führte und mit dem elegant geschlenzten Achtminüter "Eure Liebe tötet mich" bereits eingangs zu einem Höhepunkt fand. Kurz: Es war nicht nur die Idee gut. Auch war die Welt für sie bereit.
(Wiener Zeitung, 31.3.2010)
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