Freitag, März 26, 2010

Es kann nur eine geben

Mit ihrem neuen, abendfüllenden Album "Have One On Me" bestätigt die 28-jährige US-Harfenistin Joanna Newsom ihren Status als Ausnahmekünstlerin.

Nach einer Spielzeit von zwei Stunden und fünf Minuten (!), verteilt auf drei Silberscheiben, die das neue Album von Joanna Newsom in Anspruch nimmt, erlaubt sich die 28-Jährige Harfenistin aus Nevada City, Kalifornien, einen Scherz. Sie nennt den finalen Song von "Have One On Me", ihrem nun vorliegenden Album Nummer drei, das man getrost als Opus Magnum bezeichnen darf, keck "Does Not Suffice" – "Es genügt nicht".

Ihrem Hang zu Höherem und ihrer Außenwirkung als Originalgenie setzt die Musikerin damit endgültig die Krone auf. Arbeitsmotto: Wem die Ideen niemals ausgehen, der braucht auch nicht mit ihnen zu wirtschaften. Klotzen statt kleckern, verschütten, verschwenden, reichhaltig auftischen und großzügig austeilen – Joanna Newsom zementiert ihren Status als Ausnahmekünstlerin. Und sie straft mit gleich achtzehn neuen Liedern ganz nebenbei all jene Lügen, die das Album als zentrale Einheit einer Spielform namens Pop zuletzt seiner Relevanz beraubt sehen wollten.

Wir haben es hier mit Kunst zu tun, die sich altmodisch und stur gegen die zunehmende Schnelligkeit einer Zeit stellt, in der Musik zu permanent abrufbarer Stangenware verkommt und Portale wie Myspace oder Youtube mit Nachdruck an unserer Aufmerksamkeitsspanne sägen.

Joanna Newsoms Musik fordert Geduld und Konzentration, sie fordert Zeit und Aufmerksamkeit. Konsequenterweise gehört die Multi-Instrumentalistin und Harfenvirtuosin zu den wenigen Namen im Geschäft, die eine Präsenz auf Myspace bis heute verweigern. Weder können noch wollen ihre epischen Lieder kurz angespielt und auf ihre Tauglichkeit zum illegalen Download hin überprüft werden. Es geht darum, die Ohren zu spitzen, um sich in kontemplativer Abgeschiedenheit auf eine Reise einzulassen, die durch magische Zauberwelten führt.

Rätseln und staunen

Joanna Newsom bringt nicht nur mit poetisch-enigmatischen Songtexten das Staunen und Rätseln in einer Form zurück, die so nur mehr von Sigur Rós aus Island und deren Fantasiesprache Volenska übertroffen wird. Wir hören Lieder, die über eine schon immer sinnliche Aura verfügen, ganz egal, ob Joanna Newsom als Sirene zur Balzzeit und verführerische Venusfalle im knappen Wald-und-Wiesen-Kleidchen posiert oder nicht. Zu ihrer ohnehin nach einer himmlischen Bettstatt auf Wolke sieben klingenden Harfe lädt die Frau mit der markanten Stimme zur "garden party" in den "garden of eden", wo sie sich am Rande eines Brunnnens "naked as a trout" platziert. Und sie lässt uns alle dahinschmelzen wie Gletschereis in der Sommersonne, wenn sie fordernd, zärtlich und sehnsüchtig Zeilen ins Mikrofon haucht, die noch später im Traum widerhallen. Hörbeispiel eins: "Sometimes I can almost feel the power / Sometimes I am so in love with you!"

Ästhetisch versteht sich "Have One On Me" als Zusammenschluss und Ausbau seiner beiden Vorgängerwerke. Während Newsom auf ihrem Debütalbum, "The Milk-Eyed Mender" (2004), mit konzentrierten Harfenstücken noch schnell zum Punkt kam, erarbeitete sie auf "Ys" (2006) bis zu 17-minütige Kompositionen abseits gängiger Songkonventionen, die üppig orchestriert erstrahlten. Dafür sorgte eine künstlerisch nicht unbedingt friktionsfreie Zusammenarbeit mit der US-Ikone Van Dyke Parks, die sich Newsoms Label Drag City einiges kosten ließ. Es hat sich rentiert, schließlich gilt Newsom spätestens seit damals als unangefochtene und auch international mit viel Aufmerksamkeit bedachte Königin einer Bewegung, die unter zweifelhaften Bezeichnungen wie "Psych Folk" oder "Weird Folk" den vielleicht schönsten Anachronismus der Nullerjahre mit sich brachte.

In schlicht atemberaubenden Stücken wie "In California", "Easy", "Go Long" oder dem Titeltrack des Albums präsentiert sich unsere Heldin zu kammermusikalischem Zierrat immer noch in XXL-Fasson. Allerdings stehen die Vorgaben der Songs wieder mehr im Vordergrund – etwas, das sich im Vorfeld der Veröffentlichung bereits mit dem online gestreamten Siebenminüter "Good Intentions Paving Company" abzeichnete, bei dem Newsom für ihre Verhältnisse beinahe konventionell klingt.

Mit bisweilen frech rasselnden Percussions und dem Schlagzeug von Neal Morgan entdeckt die Bardin so etwas wie den Groove. Und sie setzt zu beinahe soulig anmutenden Stücken wie "Occident" oder "Soft As Chalk" gerne vordergründig auf das Klavier. Zwischen Ansätzen von wahlweise keltischer oder fernöstlicher Folklore hören wir mit "You And Me, Bess" einen Walzer mit Trompetenumrahmung, während bei "Baby Birch" im Hintergrund eine E-Gitarre durch das Klangbild rauscht. Auch das hätte es früher nicht gegeben. Gegen Ende dieser fordernden und dabei mehr als lohnenden Reise versetzt uns Joanna Newsom aber noch einen Schock: Sie bringt zur Erinnerung an ihr Image als barfüßige Hippiebraut, die am Rande der Appalachen mit ihren zehn besten Freundinnen an der Friedenspfeife nuckelt, eine Panflöte ins Spiel.

Allein: Es funktioniert. Joanna Newsom kann derzeit wohl nichts falsch machen. Joanna Newsom: Have One On Me. (Drag City / trost)

(Wiener Zeitung, 27./28.3.2010)

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