Donnerstag, April 22, 2010

Dienstleister im Disco-Nebel

Blitzhütte, Schwitzhütte: Die Sterne gefielen im WUK

Im Jahr 1993 veröffentlichten die Sterne ihr Debütalbum "Wichtig". Damit erklärte die Band um Frank Spilker auch gleich ihre Bedeutung für die deutschsprachige Rockmusik.

Über Alben wie "In echt", "Posen", "Von allen Gedanken..." oder "Wo ist hier" reiften die Sterne neben Tocotronic und Blumfeld zu den erfolgreichsten Kindern der Hamburger Gitarrenszene. Während aber Tocotronic zuletzt mit ihrer "Berlin-Trilogie" auf hohem Niveau stagnierten, sich Blumfeld aufgelöst hatten und ihr Vorstand Jochen Distelmeyer solo zwischen schlagerhafter Glückseligkeit und wiederentdecktem Rock-’n’-Roll-Gestus zum Höhenflug ansetzte, wurde es um die Sterne trotz konziser Arbeiten mit "Das Weltall ist zu weit" oder "Räuber und Gedärm" in den Nullerjahren stiller.

Überzeugungsarbeit

Mit "24/7" und der darauf zur Schau gestellten Wiedergeburt als flotte Disco-Dancer steuerte die zum Trio geschrumpfte Band im Februar dieses Jahres nun aber gegen. Sie entwickelte ihren ohnehin schon immer tanzbaren, weil mit reichlich Funk und Soul befeuerten Sound weg von der Gitarre und hin zum Synthesizer, um das seit Hercules & Love Affair von jedwedem Peinlichkeitsverdacht befreite Disco-Genre fruchtbar für sich zu nutzen.

Im Wiener WUK muss die Band ihre alten Fans davon zwar erst überzeugen. Als jahrelanger Unterstützer ist man gemeinhin loyal, beharrt aber auch auf seinem Recht, dass alles bleibt, wie es war. Siehe dazu: meine Jugend. Mein Leben!

Über die Heilkraft ewig pumpender Discobässe zu treibenden Four-on-the-floor-Beats werden aber auch die Skeptiker mitgerissen. Schließlich geht es in neuen Stücken wie "Depressionen aus der Hölle" auch darum, der Kaputtheit der Außenwelt mit einem forschen "Du kannst mich mal" zu entfliehen. 24 Stunden hat die Nacht. Und sie ist jederzeit bereit, uns mit ihren Vergnügungsangeboten aus dem Dauertrott zu holen.

Während die Musik also zum Shaken lädt und letztlich auch Spilker durch den Saal ins Foyer tanzt, wird das heitere Treiben durch Songtexte kontrastiert, die kapitalistische Ausbeutungstendenzen und die Prekarisierung der Arbeitswelt thematisieren. Bei "Neblige Lichter", live um weite Instrumentalstrecken ausgebaut, beschwört Spilker die Verweigerung. Sie ist die Antithese zum "Funktionieren-Müssen" und folgt dabei Tocotronic ("Sag alles ab", "Macht es nicht selbst") und Blumfeld ("Es gibt kein Müssen und kein Sollen, wenn wir nicht wollen"): "I don’t want to. I don’t need to. I don’t have to . . ."

Der Rest ist eine sichere Bank – "Was hat dich bloß so ruiniert" ist Massen-Karaoke auf Stadthallen-Niveau, der Jam mit psychedelischen Fuzz-Gitarren zu "Fickt das System" ganz großes Kino. Die Sterne strahlten!

(Wiener Zeitung, 23.4.2010)

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