Donnerstag, Mai 20, 2010

Einmal Amy und zurück

Whitney Houston gastierte in Wien: Die Jubeljahre sind vorbei. Es hätte alles aber auch noch schlimmer kommen können.

Dass Amerika das Land der Träume, der unbegrenzten Möglichkeiten und nicht nur solchermaßen die Heimat der Showbranche ist – längst hat es sich herumgesprochen. Und während das Land gleich zwei Könige gebar – den Echten und den "King of Pop" –, wird aus aktuellem Anlass nun wieder an das weibliche, nun ja, Pendant erinnert: Whitney Houston, "Soulpop-Diva", "The Voice". 170 Millionen verkaufte Tonträger, eine Weltkarriere, auch dank selbst klanguntermalter Kinoschlager wie "Bodyguard" mit Kevin Costner oder "Rendezvous mit einem Engel" mit Denzel Washington. Eine Karriere, mindestens so unkaputtbar wie Thomas Gottschalk und "Wetten dass.. ?", durch dessen Mithilfe auch ein jeder Whitneys Hadern kennt, der sie nie kennen wollte. Diesbezüglich ebenfalls am Werk: Einfallslose TV-Redakteure, die geglückte 100-Meter-Sprints konsequent mit "One Moment In Time" unterlegen. Was soll man machen?

Nach einem Studium der Toxologie mit einem Abschluss in Crack, nach öffentlichen Beichten, Eheproblemen, Scheidung und einer Phase von gut zehn Jahren ohne Hit ist aber auch eines klar geworden: Die Welt da draußen ist kalt, herzlos und zynisch. Die Showbranche ist das sowieso. Aber, und auch das ist Amerika: Jedem eine zweite Chance! Ein Held, wer wie Phönix aus der Asche steigt und sich selbst aus dem Schlamassel zieht.

Mit einem Comeback-Album, das dem Kapitalsparbuch neues Leben einhauchen soll, und einer Tour, die nicht nur von medialen Buhrufen begleitet wurde, will es Whitney Houston nun noch einmal wissen. Mit einem Lied über sich selbst berührt die 46-Jährige in der Wiener Stadthalle letztlich 5000 Besucher, die sich auch dank Ticketpreisen von bis zu 135 Euro schwer begeistert zeigen: "Lost sight of my dream. Thought it would be the end of me. I thought I’d never make it through. I had no hope to hold on to. I thought I would break. I didn’t know my own strength."

Tatsächlich hat Houston zu diesem Zeitpunkt bereits einen Kraftakt geleistet: Man muss sich in einem solchen Zustand erst einmal auf die Bühne trauen. Nach kolportierten Fiaskos bei Auftritten in London und Berlin wird man eingangs zu neuen und von einer siebenköpfigen Band erstaunlich forsch gespielten Stücken wie "For The Lovers" oder "Nothin’ But Love" zwar insofern überrascht, als Houstons Stimme kräftig durch die Stadthalle schallt.

Allerdings sind keine zehn Minuten vergangen, als die erste Erfrischungspause am Medizinschrank folgt – ein Ritual, das sich in ähnlicher Form noch mehrmals wiederholt. Die mit Cortison eher minder als mehr fitgemachte Sängerin schnaubt sich von der Bühne, die Backgroundsänger übernehmen bei "Queen Of The Night" und "For The Love Of You" das Ruder. Teilweise erzählt Houston mehr über ihre Lieder, als sie zu singen. Sie verzettelt sich in einen ausschweifenden Exkurs über Michael Jackson und bittet schließlich, in trauter Zweisamkeit mit ihrer aus dem Publikum gerufenen Schwester, zur Bibelstunde: "I Love The Lord!"

Kurz: Über einen akustischen Balladenblock mit alten, strikt dem Schmalz verpflichteten Gassenhauern wie "The Greatest Love Of All" oder "I Learned From The Best" und das gegen Ende hin zum Tanz ladende "How Will I Know" werden wir Zeugen einer tragischen Gratwanderung. Allerdings wird einem die vormals als tendenziell bieder wahrgenommene Sängerin bezüglich "Mei potschertes Leb’n" und "Menschen samma olle" erschreckend sympathisch. Oder: Wer hätte je angenommen, dass der Rock’n’Roll-Lifestyle ausgerechnet aus Amy und Whitney Schwestern im Geiste macht?

(Wiener Zeitung, 21.5.2010)

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