Mittwoch, Juli 14, 2010

Discofunk im Purpurnebel

Prince, Superstar der 80er Jahre, Virtuose zwischen den Genres, wurde in Wien gefeiert

Wie man ein Konzert beginnt, erklärt Prince am Dienstag so: Am Anfang steht der Höhepunkt. Danach gilt es, einen draufzusetzen. Und noch einen. Und einen weiteren. Einer geht noch, einer geht noch leicht. Die Steigerung der Klimax ist grundsätzlich möglich, auch wenn das Anstrengung bedeutet. Nicht für Prince, der mit 52 Jahren voll im Saft steht und auch nach dem 20. gefühlten Zehn-Minuten-Solo nicht einmal mit der Wimper zuckt. Sein Name ist Prince. Und er ist funky. Er ist "the one and only", er ist die Macht!

Vor allem aber für ein vom Disco-Dancing möglicherweise schon entwöhntes Publikum gilt: Durchatmen, Stretchen, Dehnen. Schnell noch ein kühles Wasser. Durchhalten! Immerhin steht heute der "sexy motherfucker" auf der Bühne. Und das geschieht nicht jeden Tag.

Prince, der in den 80er Jahren als Superstar mit unkapputbarer Karriere galt, ehe er in den 90ern auf Opposition zum Musikbusiness ging, um auf Platten, die er im Internet oder als Zeitungsbeilage vertrieb, auch künstlerisch nur mehr zu machen, was ihm gerade in den Sinn kam, beginnt das Konzert also auf die unwahrscheinlichste Weise. Nach einem Intro, aus dem man mit zunehmender Dauer die Akkorde einer Weltnummer zu vernehmen glaubt, stolziert der Sänger im violetten Kristallregen durch die Bühnennebel und wendet sich reumütig an uns. Er bekennt: "I never meant to cause you any sorrow. I never meant to cause you any pain!"

Als mit "Purple Rain" 1984 das bis heute meistverkaufte Album des 1958 als Prince Rogers Nelson in Minneapolis geborenen Musikers erschien, waren die Hauptmerkmale seines Œuvres bereits ausgeprägt: Eine unnachahmliche Mischung aus Pop, Soul und Funk, gepaart mit konsequent im Diesseits verhafteten Texten über Liebelei und Liebesleid, die, bis zum Anschlag sexualisiert, als vertonte Lustbomben nicht etwa provozieren wollten. Prince meinte das ernst. Und er sorgte mit dem "Purple Rain"-Album dafür, dass der CD-Aufkleber "Parental Advisory: Explicit Lyrics" eingeführt wurde.

Auch die Nummer zwei im Set stammt aus dieser Arbeit und stellt die Weichen auf einen ekstatischen Abend. Der Schlachtruf heißt: "Let’s go crazy!" Prince sorgt sich dabei um eine immerwährende Party, in der das echte Leben an strikter Türpolitik zwangsläufig scheitert. "Don’t let the elevator bring us down", heißt es hier, ehe sich das bis heute unbeschädigte Künstler-Ego an sein Publikum wendet. Das Genie Prince in einer kurzen, aber dringlichen Zwischenrede, für den Fall, dass es jemand noch nicht bemerkt haben sollte: "You are on the best place on earth right now!" Vielen Dank, und bitte: Play it loud, bitch!



Über alte Gassenhauer wie "1999", "Delirious", das zärtliche Liebesbekenntnis "Shhh" oder das erstmals auf dieser exklusiven, nur sechs Konzerte umfassenden Europatour gespielte "Cream" offenbart sich das entrückte Universum des Sängers in allen Facetten: Prince will an der Gitarre so gar nicht aufhören zu solieren, seine Musiker ziehen nach. Gepaart mit einer Lawine aus Trash-und Grind-Sounds aus dem Keyboard ergibt das bisweilen eine Melange, eine Kakophonie des Verpönten. Aber: Es ist egal. Es ist Prince. Und er ist funky! Daran ändern auch die auf LSD-Delirium gepolten Visuals nichts, die selbst in den 80er Jahren peinlich gewesen wären: Kunststück!

Sheila E., Langzeit-Percussionistin der New Power Generation, gibt "A Love Bizarre" im Duett mit dem Meister, der während einer genialen Version von "Musicology" an den Becken aushilft. Mit einer neu adaptierten und ohne Gitarre gespielten Version von "Kiss" sowie dem durch eine Coverversion Sinéad O’Connors bekannt gewordenen "Nothing Compares 2 U" folgen weitere Welthits.

Vor allem aber begeistert Prince mit dem zackigen, nahe an Jimi Hendrix gehaltenen Funk von "Dreamer" und einem funky Disco-Teil gegen Ende: Dort schaut er auch bei Sly & The Family Stone oder Sylvester James vorbei. In der nicht gänzlich ausverkauften Stadthalle tanzen zu diesem Zeitpunkt längst schon alle: Die Porschefahrer vom Döblinger Berg und die Bobos aus Neubau, ehe der feiste Rock’n’ Roll von "Peach" dem Treiben ein Ende setzt – nach vier Zugabe-Blöcken. Conclusio: "Oh yeah! And what a great funk that was!"

(Wiener Zeitung, 15.7.2010)

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