Sigur-Rós-Sänger Jónsi präsentiert sich in der Wiener Arena als Solokünstler.
Jón Þór Birgisson kennt man besser als Sänger unserer isländischen Herz- und Seelenfreunde Sigur Rós. Gemeinsam mit seiner Stammband wurde der kurz Jónsi gerufene Musiker mit Vorliebe für zarten Diskantgesang zum Aushängeschild eines Popentwurfes, dessen auf Schönheit und Innigkeit bedachter Gestus bei Menschen mit betont großem Herzen offene Türen einrennen musste.
Grundsätzlich von einer Art verschleppt tönendem, atmosphärisch in die Breite gezogenem Post-Rock her kommend, wurde die Band mit Alben wie "Von", "Ágætis Byrjun" und dessen weidwunder Echolot-Hymne "Svefn-g-englar", "( )" oder "Takk" zum Herrscher über ein ästhetisches Imperium, das die Rückeroberung und Zurschaustellung von Sinnlichkeit und Fantasterei zum obersten Prinzip erhob: Das betonte der 1994 in Reykjavík gegründete Vierertrupp auch mit stur in Isländisch oder der eigenen Fantasiesprache "Vonlenska" ("Hoffnungsländisch") gehaltenen Texten, die reichlich Projektionsfläche zum Rätseln und Staunen ließen.
Nachdem die Band mit ihrem Album "Með suð í eyrum við spilum endalaust" zuletzt ungewohnt nahe auch an den Vorgaben des Popsongs arbeitete, ist derzeit – es gibt ein Leben abseits der Karriere – Babypause angesagt. Jónsi, an derlei Dingen tendenziell uninteressiert, nützte die Zeit nicht nur, um mit seinem Lebensgefährten Alex Somers als "Jónsi & Alex" das Instrumentalalbum "Riceboy Sleeps" aufzunehmen. Mit den neun Stücken seiner ersten Soloarbeit "Go" setzte er heuer auch zu einer Solokarriere an.
Diese wird derzeit sehr ambitioniert vorangetrieben: Wie bereits auf Youtube.com in ausführlichen Dokumentationen und am 24. Juli nun auch live in Wien überprüft werden kann, wurden für die Welttournee zum Album weder Kosten noch Mühen gescheut. Ein optisches Feuerwerk zwischen Film, Kunstinstallation und Theater wird versprochen, neben dem die Musik freilich nicht zu kurz kommen soll. Wer Sigur Rós je live erleben durfte, wird bereits jetzt vor Vorfreude wild auf- und abhüpfen.
Romantik verpflichtet
Immerhin haben wir es auf "Go" über weite Strecken mit Musik zu tun, die in ihrer euphorischen, deutlich "poppiger" als bei Sigur Rós klingenden Ausformung Endorphinausschüttung im großen Stil ermöglicht: Über der perkussiv rasselnden Grundstruktur reichen einander Querflöten und Glockenspiel die Hände, dazu zeigen sich die von Nico Muhly, einem Schüler des US-amerikanischen Komponisten Philip Glass, arrangierten Streicher und Bläser wenig zurückhaltend. Sprich: Diese streng einem romantischen Gedanken verpflichteten Lieder tragen gerne auch etwas zu dick auf. Sie sind bisweilen so schön, dass es wehtut – und huldigen der Idee, es einmal gut mit uns selbst und der Welt zu meinen. Wie es dabei auch so schön heißt: "Every time, everyone, everything’s full of life. Everyday, everywhere, people are so alive. We should all be (Oh oh oh) alive! Exist all in love, in life!"
Jónsi umarmt diese Welt. Und wir umarmen Jónsi. Das wunschlose Unglück wartet im Morgengrauen.
(Wiener Zeitung, 23.7.2010)
Donnerstag, Juli 22, 2010
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