Sich über Air lustig zu machen, ist leicht. Das wird in der Wiener Staatsoper bereits klar, als das französische Duo die Bühne betritt: Jean-Benoît Dunckel hüllt sich in sektiererisches Weiß, an Nicolas Godin baumelt ein Kaschmirschal. Es folgen höfliche Knickse, später "Sönk jus". Die Schöngeister aus Versailles werfen ihrem Publikum Küsschen zu uns lassen auch sonst keinen Zweifel daran, dass es ihnen mit ihrer Kunst der Kunst willen immer schon ernst war.
Mit dem Album "Moon Safari" wurden die Vorzeichen 1998 auf Cocktail-Begleitmusik gestellt. Stichworte wie "Lounge" und "Chillout" gewannen an Bedeutung, und Air lieferten den Soundtrack. Mit um elektronische Musiken und Jazzbrunch-Intermezzi erweiterten Popminiaturen, die sich bei Serge Gainsbourg ebenso bedienten wie bei Pink Floyd, erwies sich die Band zwar schon früh als prätentiös. In einer Klasse, die sich über Songtexte wie "Be a bee, be be a bee" und "Love, love, love.. ." nie um Tiefgang, sondern um den Glanz an der Oberfläche bemühte, galten Air aber schon sehr bald als Vorzugsschüler.
Sternenstaub in Outer Space
Im Konzert beseelen Air ihr Œuvre mit echtem Schlagzeug und ausladenden Instrumentalteilen. Dunckel zaubert psychedelische Soundschlieren aus alten Analoggeräten, um etwa bei "Don’t Be Light" nach Outer Space zu entschwinden. Dort wird aus Prog-Ansätzen beim Synthie-Jam Sternenstaub. Auf den Ringen des Orion gefallen sich Air ebenso wie als Schmafu-Popper mit vertonten Punschkrapfen wie "Cherry Blossom Girl", wenn sie nicht gerade die Hotelbar-Jazzer ("La Femme d’Argent") oder Flöten-Hippies markieren. Dazwischen säuseln die beherzten Nichtsänger zärtlich "Love" in ihre Vocoder, um als Computerstimmen im Kraftwerk’schen Sinne das Vorurteil zu bestätigen, ihre Musik sei die perfekte Klangtapete für klebrige Softpornos.
Dass die Liebe als solche im leibhaftigen Fleisch-und-Blut-Gestus der Soulmusik besser aufgehoben ist, muss tags darauf also Al Green erklären. Der 64-Jährige gilt als neben Solomon Burke größte noch aktive Ikone im Fach und kennt sein Thema Nummer eins – "L’amour", um mit Air zu sprechen – aus zweierlei Sicht: Zunächst wurde Green in den 70er-Jahren mit weltlichem Liedgut zum Star. Gemeinsam mit seinem Produzenten Willie Mitchell entstanden Hitalben wie "Let’s Stay Together" oder "Call Me", ehe sich Green nach einem privaten Schicksalsschlag der Liebe Gottes widmete. Er ließ sich zum Reverend ausbilden, veröffentlichte Gospelalben und predigte schließlich in seiner eigenen Kirche. Seine Rückkehr zum Soul brachte mit "Everything’s OK" und dem aktuellen Album "Lay It Down" zuletzt zwei sehr gute Platten.
Eine Messe für Soulbrothers
Sein erstes Österreich-Konzert seit 1994 ist von Beginn an nichts weniger als ein Triumph – eine Messe für Soulbrothers und Soulsisters, eine Liebespredigt für Bekehrte. Mit neunköpfiger Band, Backgroundchor und Tänzern gibt Green alte Klassiker wie "Tired Of Being Alone", "Sha-La-La (Make Me Happy)" oder "L.O.V.E." und demonstriert dabei nicht nur seine Ausnahmestellung als Sänger: Was für eine Götterstimme! Vom smoothen Croonen, zu dem ihn Mitchell einst überreden musste, bis hin zu begehrenden Aufschreien schallt Green auch ohne Mikrofon problemlos durch die Oper. Und was für ein Entertainer! Als Charmeur der alten Schule verteilt der Reverend Rosen ans Publikum, geht emphatisch in die Knie und lässt sich zu Boden fallen. Entsprechend wird der geistliche Block mit "Amazing Grace" und "Nearer My God To Thee" zu einem kollektiven Erweckungserlebnis.
Innig wird es bei "Lay It Down", mit "I’m Still In Love With You" und "My Girl" reicht Green zwei der schönsten Liebesbekenntnisse nicht nur der Soulgeschichte, ehe "Love And Happiness" die Oper noch einmal das Grooven lehrt. Ein bewegender, ein ganz großer Abend!
(Wiener Zeitung 6.7.2010 / Fotos online only)
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