Groß, größer, U2: Die irische Band ließ sich im Wiener Ernst-Happel-Stadion von rund 72.000 Fans feiern
Wien. Im Wiener Ernst-Happel-Stadion soll es sein, dass U2 ihre Kernkompetenz vor allem in einer Hinsicht demonstrieren: Die Band um Sänger Bono, dem es obliegt, die Krisenherde und Problemzonen der Welt nicht nur mit Statements zu bedanken – man ist als Rockstar grundsätzlich priviligiert und fühlt sich deshalb schon auch ding, moralisch betrachtet –, singt also darüber, wie es ist, trotz Wanderungen über Berg und Tal immer nie zu finden, wonach man eigentlich sucht. Sie zollt mit alten Hadern wie „MLK“ oder „New Year’s Day“ Martin Luther King ebenso Tribut wie der polnischen Solidarność-Bewegung, wendet sich gegen den Wahnsinn von Krieg, Terror und Gewalt und bringt Desmond Tutu über den Video-Screen zur Montagspredigt ins Happel. Sie singt der in Myanmar unter Hausarrest stehenden Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ein Lied, erklärt sich mit der iranischen Opposition solidarisch und bittet zum gemeinsamen Lichtermeer. Dazwischen soll Bono auch noch ergriffen sein und sich bei allen bedanken. Auch die Frau vom Kanzler ist da. Das ist nicht nichts. Und es muss sich in gut zwei Stunden ausgehen. Noch so viele Lieder, noch so viele Hits!
Einmal abgesehen von der Frage, ob sich das Medium Stadionrock für Bonos Nebenbeschäftigung als Missionar und Gewahrmacher eignet, steht die Band vor einem Dilemma: Bezüglich der Rettung der Welt ist derzeit Nachhaltigkeit und Ressourcenmanagement angesagt. Und wenn Bono gerade nicht um die Welt jettet, um sich mit den Entscheidungsträgern bei einem Fair-Trade-Mokka zu besprechen, bringt ihn der Düsenjet nach Toronto, Auckland und Barcelona. Dort wird eine Bühne errichtet, für die es mehr als einhundert nicht unbedingt solarbetriebene Monstertrucks braucht, um später den täglichen Strombedarf von Mistelbach oder Brunn am Gebirge husch, husch, ganz alt aussehen zu lassen.
Gewinnmaximierung auf Touren
Weil U2, die formatradiotauglichste aller Rockbands, bereits früh begann, die Spirale der Selbstüberhöhung steil nach oben zu schrauben, hat sie jetzt zwar den Salat – moraltheologisch betrachtet. Dank einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem globalisierten Bösen in Form des Konzertveranstalters Live Nation darf der weltliche Sünder in Bono Vox aber schon auch frohlocken. Mit geschätzten Bruttoeinnahmen von 750 Millionen US-Dollar wird die „360°-Tour“ als vermutlich lukrativste Konzertreise in die Geschichte eingehen.
Sternstunden der Weltumarmung
In Wien erlebt man den nach einem Bandscheibenvorfall rekonvaleszenten und noch sichtlich gezeichneten Bono nun bei gemütlichen Spaziergängen über die von allen Seiten einsehbare Bühne, die sich mit einer gewaltigen Lichtshow durch das Stadion protzt. Musikalisch machen U2 aber keine Gefangenen. Es ist ein mutloser Abend, dessen Greatest-Hits-Programm sich dank Ö3 quasi von selber singt. Mit sanften, um harmonischen Wohlklang bemühten Weltumarmungs-Manifesten wie „Ultra Violet (Light My Way)“, „Walk On“ oder „One“ und dem auf Pomp gepolten Hollywood-Rock von „Elevation“, „Vertigo“ oder „Beautiful Day“ wird dabei einem Motto gefolgt. Es lautet: Sie wünschen, wir spielen – und meint bei U2 heute auch, dass die Band gnädig auf die Alben „Zooropa“ und „Pop“ verzichtet, für die sie in den 90er-Jahren selbst von ihren Fans gehasst wurde. Zu innovativ? Zu bluna!
Während sich The Edge darum bemüht, die Spompanadeln seiner Effektpedale zu zügeln, streckt Bono seine Fäuste in kämpferischer Erweckungspose in den Himmel. Er bedankt sich mit einem herzlichen „Wien ist anders!“ für eine „very special night“, die uns außerdem mit dem neuesten Dreieinhalb-Akkord-Song „Every Breaking Wave“ beschenkt. Man darf auf das dazugehörige Album gespannt sein. Man muss aber nicht.
Nach dem erweiterten Pfichtteil mit „Sunday, Bloody Sunday“ und „With Or Without You“ setzt das defizitär inspirierte “Moment Of Surrender” dem Triumphzug ein Ende. Die Fans sind begeistert. Wien Energie dankt. Das Quartal ist gerettet.
(Wiener Zeitung, 1.9.2010)
Dienstag, August 31, 2010
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