Barde und Dichterfürst Nick Cave lärmte mit seinem Projekt Grinderman in Wien
Man muss es sich vor allem als junger Mensch wieder einmal vor Augen führen: Nick Cave war nicht immer der Mann im Manschettenhemd, der frühmorgens ins Büro eilte, um dort gesammelt und strukturiert an Balladen über Gott und die Liebe zu tüfteln. Es gab eine Zeit im Leben des Sängers, in der er im Hauptberuf wild war und weniger berühmt als vielmehr berüchtigt. Es waren die 80er-Jahre. Das Heroin war noch gut, Facebook noch nicht erfunden. Man war nicht jedermanns Freund und konnte auch künstlerisch ein Klima kultivieren, das die Weichen ebenso wie die Gitarren auf Anschlag stellte.
Nach Anfängen mit seiner Birthday Party bemühte sich der gebürtige Australier bald von Westberlin aus, diesbezüglich eine Karriere zu starten. Er scharte einen Lumpentrupp um sich, der sich The Bad Seeds nannte und vor allem durch Blixa Bargeld auffiel, der zwar nicht Gitarre spielen, dafür aber schreien konnte wie eine Katze, die gerade massakriert wird – wie Cave es einmal formulierte. So ging es darum, einen auf Neu- und Endzeit gepolten, mit den Mitteln des Punk abgefertigten Blues in die Welt zu setzen, den man so noch nicht gehört hatte. Siehe dazu frühe Arbeiten wie "From Her To Eternity" oder "The Firstborn Is Dead".
Blues-Punk aus der Ursuppe
Die Wandlung in Richtung Struktur und Ballade führte Cave langsam, aber bestimmt in Richtung allgemeine Verträglichkeit. Über den Welthit "Where The Wild Roses Grow" im Duett mit Kylie Minogue und seine Neuerfindung mit dem genial zurückgenommenen Album "The Boatman’s Call" (1997) gilt er spätestens seit "No More Shall We Part" aus dem Jahr 2001 als Herr der stillen Töne.
Vermutlich auch, um es sich selbst noch einmal zu beweisen, rief Cave fünf Jahre darauf gemeinsam mit dem Multiinstrumentalisten Warren Ellis sowie Martyn Casey am Bass und Jim Sclavunos am Schlagzeug das Projekt Grinderman ins Leben. Dabei geht es nun nicht mehr ums Tüfteln. Ohne Vorgaben und Konzept entsteht die Musik Grindermans frei von der Leber.
Das Ergebnis: Grob geholzter, aus der Ursuppe des Rock ’n’ Roll geschöpfter Blues-Punk, der zum einen bei Caves Anfängen andockt und zum anderen mit aus der Körpermitte inspirierten Songtexten das Image des schmutzigen, alten Mannes hochhält. Die Luschis, das sind immer die anderen. Nick Cave selbst ist, wie es bereits der "No Pussy Blues" nahelegte, vor allem spitz wie Nachbars Lumpi. Zumindest für ihn als Kunstfigur gilt: Hechel, sabber, grunz!
Wie man nun am Sonntag auch im gut gefüllten Gasometer erleben musste, treibt Cave den störrischen Gestus von Grinderman, noch einmal gegen die Strich gebürstet, live auf die Spitze. Es geht über "boing, bumm, tschak" und "eins, zwei, dresch" um einen Frontalangriff auf das Gute und Schöne und die Funktionstauglichkeit unserer aller Ohren. Kunst kommt von leiden. Nick Cave gab diesbezüglich Nachhilfe und gerierte sich, erstmals auch selbst an der Gitarre, als neuer Blixa Bargeld. Arbeitsmotto: Mal sehen. Er heulte den Mond an mit innigem Wolfsgebell und hielt angeekelt Distanz zum richtigen Ton. Mikrofonständer fielen, und fielen sie nicht, so wurden sie von Cave höchstpersönlich auf die Bühne gedroschen.
Gegen die Wand gelärmt
Die Gitarren lärmten. Nick Cave brüllte. Der alte Korg war auf Noise eingestellt. Warren Ellis kritzelte psychedelische Soli ins Lärmgemälde, steuerte Percussions bei und erwies sich als an der E-Geige durchaus fidel. Den rappeligen bis bluesig stampfenden Unterbau lieferte John Sclavunos mit rhythmischer Vielseitigkeit.
Während Grinderman schon auf Platte amelodiös zerfahrene Stücke live endgültig gegen die Wand fuhren wie einst in Berlin Kreuzberg, erwies sich die Band beim entschieden lieblicheren Ansatz von "Palaces Of Montezuma" als schwindeligste Tanzkapelle aller Junky-Hochzeiten. Konzentrierter gerieten das zackige "Honey Bee (Let’s Fly To Mars)" oder das hatscherte "Kitchenette".
Es blieb beim Sieg des alten Sau-Bartels über den Restverstand. Auch die Stille war an diesem Abend sehr laut. Sie klingelte noch am Folgetag in den Ohren.
(Wiener Zeitung, 12.10.2010)
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