Donnerstag, Oktober 07, 2010

Grenzdienst an der Stange

Katy Perry, US-Popstar zur Zeit, Tortenprinzessin und Pin-up-Girl, gastierte in Wien

Hat man sich als Popstar durch die Beigabe der einen oder anderen US-Dollarmillion einmal an den Gedanken gewöhnt, dass die ihr Humankapital immer schneller verschlingende Entertainmentbranche zwar böse ist und zynisch, man selbst sich aber auch unter weitaus schlechteren Umständen verbrauchen könnte, so darf die eigene Karriere als zumindest auf ein paar Jahre ausgedehnte Variante der "15 minutes of fame" durchaus als Honigschlecken bezeichnet werden.

Auch wenn das für Katy Perry einen Arbeitseinsatz bedeutet, für den sie im um die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale herum deutlich zu knapp geschnittenen Latexkleid auf einer Bühne zu stehen hat, auf der zu manövrieren wegen mannshoher Zuckerstangen, überlebensgroßer Eisstanitzel und im stoffarmen Pornodirndl wild um sich schlagender Tanzmäuse nicht die einfachste Übung ist. Es ist ein harter Job. Doch jemand muss ihn machen!

Immerhin gilt die 1984 als Katheryn Elizabeth Hudson in Kalifornien geborene Sängerin neben Lady Gaga und ihrer Busenfreundin Rihanna als letztes, großes Kapitalakkumulations-Versprechensangebot der Musikindustrie. Seit die Tochter eines Pastorenpaares ihre Anfänge im Christian Rock hinter sich ließ, um mit anzüglichen Texten und dem einen oder anderen Provokatiönchen zunächst Homosexuellen-Initiativen (mit dem Song "Ur So Gay") und später sämtliche Moralhüter der US-Öffentlichkeit auf den Plan zu rufen, geht es mit beigestellter, musikalischer Stangenware steil bergauf. Nach ihrem Debüt mit dem am Reißbrett für die Großhandelskettenkategorie "Pop/Rock" entworfenen Album "One Of The Boys" adaptierte die Sängerin ihren Sound auf "Teenage Dream" zuletzt mit elektronischen Elementen als etwas zeitgeistiger. Aber das ist egal.

Worum es geht, ist die Etablierung eines modisch aus den 50er Jahren entlehnten Images, dessen im Kinderzimmer mit Hasi, dem Kuschelbären, entworfener Unschuldsgestus von einem Hauch des Verruchtsein-Wollens gebrochen wird. Solchermaßen verrichtet die Sängerin ihren Dienst an den Grenzen: Zwischen Kindheit, Jugend und "adulthood" ist Katy Perry wahlweise Töchterchen oder Partybitch, Unschuldslamm oder Gör.

Pflicht zum keimfreien Reiz


Nach ersten Vorstellungsrunden beim Après-Ski in Ischgl, am Life Ball oder unglamourös bei der "X-Jam"-Maturaparty in der Türkei sang Perry am Mittwoch im mit 800 Personen exklusiv gehaltenen Rahmen in der Wiener Arena nun unter Patronanz eines Mobilfunk-Anbieters. Dabei erwies sich Perrys Habitus als amerikanischster aller feuchten Träume: Geil muss es sein – aber keimfrei.

Mit fünfköpfiger Band und zwei Backgroundsängerinnen sowie auf Augenkrebs gepolten Videozuspielungen gab Perry als im Kirschwasser gebadete Tortenprinzessin Hits wie "Hot N Cold", "Teenage Dream", "California Gurls" oder das als Soulballade gestartete "I Kissed A Girl".

Dazwischen scherzte die Sängerin über Las Vegas, griff bei "Thinking Of You" selbst zur Gitarre und untermauerte letztlich, dass sie live trotz eifrig durch Tanz verbrauchter Zuckerwattstunden Energie erheblich langweilt. Nach knapp 60 Minuten ging es für die Promis zum Freibier und für die Kinder nach Hause. Am Donnerstag war wieder Schule.

(Wiener Zeitung, 8.10.2010)

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