Donnerstag, November 04, 2010

Von Hamburg nach Kreuzberg, vom Sprachrohr zum Freund

Müssen nur wollen: Wir sind Helden touren durch Österreich.

Wer hinter dem aktuellen Album der Hamburger Wahlberliner Wir sind Helden eine konservative Behauptung vermutet, mag es sich leicht machen. Verstecken sich doch auch im trügerischen Titelstück von "Bring mich nach Hause" nur bedingt harmonische Bilder. Zitat: "Bring mich nach Hause. Ich bin schon zu weit hier draußen. Komm und trag mich, frag nicht wieder wohin. Ich will nach Hause. Ich bin schon zu weit hier draußen. Komm und trag mich, schlag mich nieder. Ich bin nicht still genug."

Tatsächlich aber kann, darf und soll die Geschichte der vor zehn Jahren gegründeten Band vor allem über eine gewisse Glättungstendenz gelesen werden. Früh im Umfeld von FM4 verortet und ebendort auf Heavy Rotation gespielt, gefiel das Quartett um Sängerin Judith Holofernes mit klug adaptierten New-Wave- und NDW-Sichtungen, deren Potenzial sich auch in einer renitenten Grundhaltung veräußerte. Nicht polternd zornig, sondern lustvoll aufbegehrend richtete sich Holofernes in gewitzten Abhandlungen gegen die westliche Warenwelt und den Leistungsdrang einer neoliberal eingefärbten Ellenbogengesellschaft. Mit "Müssen nur wollen" nahmen Wir sind Helden schließlich die oppositionelle Verweigerungshaltung vorweg, die Tocotronic Jahre später mit "Kapitulation" freilich anders ausformulieren sollten.

Ewige Sympathieträger

Mehr als 500.000 verkaufte Einheiten ihres Debütalbums "Die Reklamation" katapultierten die Band ungewollt, aber naturgemäß in eine schwierige Situation. Die Musikindustrie entdeckte die deutschsprachige Gitarrenmusik als Wirtschaftsfaktor wieder und investierte mit Bands wie Juli, Silbermond oder Christl Stürmer bald in den sogenannten Deutschrock. Während sich Silbermond nach Sicherheit in einer zunehmend unsicheren Welt sehnten und Mia. aus Berlin in Schwarz-Rot-Gold ihre teutsche Heimatliebe entdeckten, ließ es vor allem das musikalisch recht kantenlose zweite Helden-Album "Von hier an blind" an Distinktion mangeln. Auch inhaltlich besänftigte sich die Band mit Widerständchen und Befindlichkeitslyrik. Sie wurde vom Sprachrohr zum Freund und Seelentröster. Das durfte man als ebenso sympathisch bezeichnen wie auch als etwas schade.

Nach dem kommerziell wenig erfolgreichen "Soundso" (2007) und erneuter intensiver Tourtätigkeit nahm sich die Band ihre erste Auszeit. Holofernes und ihr Bandkollege und Ehemann Pola Roy bekamen ihr zweites Kind. Keyboarder Jean-Michel Tourette wurde ebenfalls Vater. Die daraus geschöpfte Lebenserfahrung verleitet die Band nun also nicht nur zu Interviews über die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Karriere (so auch in deinem "Falter"). Auch dem für die Band ungewohnt introspektiv und nachdenklicher als sonst ausgefallenen "Bring mich nach Hause" ist das zwischen heimeligem Wohlfühlcharakter und sorgsamer Verantwortung changierende Jungelternleben durchaus anzuhören. Live vorgestellt wird das um Folk-Einsprengsel erweiterte Album am nächsten Mittwoch und Donnerstag in der Wiener Arena. Beide Termine sind restlos ausverkauft.

(Wiener Zeitung, 5.11.2010)

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