Stefani Joanne Angelina Germanotta alias Lady Gaga ist der Popstar zur Zeit: Aber warum eigentlich?
Geht es um Lady Gaga, so empfiehlt es sich, zunächst einen Blick auf die Fakten zu werfen und diese in Relation zu setzen.
Wenn die am 28. März 1986 in New York als Stefani Joanne Angelina Germanotta geborene Sängerin nächste Woche in der ausverkauften Wiener Stadthalle auftreten wird, werden mehr als 100 Mitarbeiter daran gearbeitet haben, Bühneninventar aus 30 Trucks und 13 Bussen zu adjustieren. 16.000 Fans werden sich darüber freuen dürfen, für Kartenpreise von 63 bis 103 Euro im regulären Vorverkauf mit Hits wie "Poker Face" und "Bad Romance" zünftig gerockt zu werden.
Lady Gaga hat bisher 15 Millionen Alben und 51 Millionen Singles verkauft. Sie wurde vom US-Magazin "Time" zur einflussreichsten Künstlerin des Jahres 2010 gewählt. Beinahe sieben Millionen Menschen folgen der Sängerin auf Twitter. Lady Gaga gefällt sage und schreibe 21.542.399 Personen auf Facebook. Sie liegt damit deutlich vor Barack Obama ("15.274.644 Personen gefällt das"), der alten Madonna ("2.625.264 Personen gefällt das") und Papst Benedikt XVI. ("276 Personen gefällt das").
Aktiv als Lady Gaga steht die Tochter einer gut situierten Familie mit italienischen Wurzeln seit dem Jahr 2005 im Geschäft. Erst im Jahr 2008 erschien ihr Debütalbum "The Fame". Es ist das bisher einzige Album der Sängerin. Wie war ihr tatsächlich atemberaubender Aufstieg also möglich?
Ebenso wie bei Branchenkolleginnen von Britney Spears bis Christina Aguilera reicht auch Gagas Wunsch nach einer Karriere im Popzirkus bis in ihre Kindheit zurück. Während Aguilera und Co aber schon früh auf der Bühne standen, um ihre Unschuld für Talentwettbewerbe zu opfern, schulte sich Germanotta zu Hause am Klavier klassisch an Beethoven und Bach. In ihrer Highschool-Zeit wurde die als strebsam beschriebene Schülerin als Protagonistin in Musicals auffällig. Erst auf der renommierten New Yorker Kunsthochschule Tisch School of the Arts aber schärfte sich ihr Profil. Während Germanotta sich das Studium mit Auftritten als Burlesque-Tänzerin in Nachtlokalen finanzierte und in den Clubs an der Lower East Side Manhattans Bühnenerfahrung sammelte, erträumte sie die Zusammenführung von Mode, Kunst, Performance und Popmusik im großen Stil. Die Verheißungen des Pop sollten bei Lady Gaga noch einmal zelebriert, die Zutaten des Glamour-Süppchens mit sämtlichen Zutaten aufgekocht werden.
Ihren Einstieg in die Branche schaffte Germanotta als Songwriterin für das Interscope-Label und dessen Schützlinge wie Britney Spears oder die Pussycat Dolls. Bei der Studioarbeit wurde schließlich der senegalesische Rapper Akon ("Don’t Matter") auf sie aufmerksam, der sie unter seine Fittiche nahm und letztlich als Türöffner fungierte.
Was danach geschah, kann das erneute Hören von Lady Gagas Debütalbum "The Fame" nur unzureichend erklären. Dabei hatte man es zwar mit klug konzipierten und eingängigen Songs zu tun, die allerdings über schnell für die Charts produzierte Stangenware nicht hinauskamen. Zu für den US-amerikanischen Markt maßgeschneiderten Gebrauchs-Beats aus dem Genre R&B gesellten sich Autodrom-Synthesizer zwischen 80er-Jahre-Einschlag und dem Europop-Grind der frühen 90er sowie gelegentliche Abstecher ins hörbar von Queen und David Bowie beeinflusste Balladenfach.
Auf der um acht Stücke erweiterten Wiederveröffentlichung des Albums als "The Fame Monster" im Folgejahr wurde dieser Entwurf sanft um schlagerähnliche Refrains ("Bad Romance") und die Nachwehen der vor 30 Jahren in Leipzig, Dresden, Berlin und Danzig gepflegten Gothic- und Dark-Wave-Kultur erweitert.
Auf der Agenda dabei: boyfriend, girlfriend – egal. Partyzeit und "sexy time" für alle! Mit Musikvideos, bei denen der Schwerpunkt neben Product-Placement für Getränkefirmen auf Partyexzess ("Let’s Dance"), Gangbang-Ästhetik und Marilyn-Manson-Gedenk-Bondage ("Alejandro") gelegt wird, erweist sich Lady Gaga vor allem im optischen Bereich als mindestens mutig – und daher interessant. Die Lady trägt Büstenhalter mit angeschlossenen Faustfeuerwaffen und entzündet Dollarscheine am laufenden Band. In Zeiten des Rotstifts bleibt sie das dekadente Miniversum inmitten der Spargesellschaft. Lady Gaga kennt keine Krise. Am Ende lockt auch ihre eskapistische Verheißung vom Plattenbau zum Konzert in die Mehrzweckhalle.
Ihr konsequentes Bemühen um Künstlichkeit mit Kunstanspruch unterstreicht die Sängerin mit ihrem Haus of Gaga – einem mit Stilexpertisen, Kostümdesign und ähnlichem Firlefanz beschäftigten Expertenteam, das die ohnehin zumeist stoffarm bekleidete Sängerin in der Tradition von Andy Warhols Factory wissen will. Solchermaßen unterstützt, soll es darum gehen, zur einmaligen Ankleide gedachte Stoffmassaker ins Blitzlicht zu bringen. Man erinnere sich etwa an die Rohfleisch-Robe, mit der die Sängerin heuer bei den MTV Video Music Awards erschien.
Letztlich muss man Lady Gaga als Marketingsystem mit angeschlossenem Tonstudio verstehen, das es ohne Formatradio und Hochglanzgazetten in der Form nicht gäbe. Als Lustobjekt (für ihre Fans), als Reibebaum (für den skeptischen Rest der Welt) und vor allem als Massenphänomen ist sie aber auch längst für das Feuilleton interessant geworden.
Gaga selbst kümmert sich zunächst um die Basis: ihre Fans. Folglich ist sie als erster Pop-Superstar nicht nur über die Massenmedien permanent verfügbar und aufgrund jeden Ansatz von Erschöpfung verdrängender Tourtätigkeit immer schon bald auch in deiner Stadt. Über Kommunikationsangebote des Web 2.0 wie Twitter und Facebook steht die 24-Jährige auch mehr oder minder direkt in Kontakt mit uns allen. Lady Gaga liebt ihre Fans. Sie nennt sie nur "little monsters". Vermeintliche Widersprüche werden von Lady Gaga geglättet. Alles stimmt, selbst wenn es falsch ist.
Lady Gaga gastiert im Rahmen ihrer "Monster Ball Tour" am 11. November in der Wiener Stadthalle. Ihr zweites Album, "Born This Way", wird 2011 erscheinen.
Lady Gagas Konkurrenz
Die Popbranche hat sich verändert. Und durch den plärrenden Auftritt Lady Gagas wirken (ehemals) große Namen wie Shakira beinahe bieder. Amy Winehouse verschwand in der "Rehab". Madonna ist nicht mehr cool. Sie sieht vergleichsweise alt aus. Nicht physisch – hier erweist sich die 52-Jährige dank eines Lifestyles zwischen Kampfyoga und Botoxparty als überraschend vital –, vor allem künstlerisch hat der Pop-Superstar von einst aber an Boden verloren.
Wie sieht die Konkurrenz Lady Gagas also aus? Nimmt man ihre Aussagen ernst, so respektiert und schätzt sie ihre Kolleginnen. Umgekehrt gilt dies offenbar nur bedingt. Die britisch-tamilische Rapperin Mathangi Arulpragasam alias M.I.A., von deren polternd-tribalistischen Grime-Sounds sich Gaga zu ihrem Song "Chillin" inspirieren ließ, bezeichnete die New Yorkerin als den "letzten Versuch der Musikindustrie, sich wichtig zu machen". Grace Jones war "pissed off", weil Gaga ihre Mode kopierte.
Die vor allem am amerikanischen Markt reüssierende Ex-Destiny’s-Child-Sängerin Beyoncé Knowles wiederum wurde von Kampfstern Gaga mit einem Duett befriedet ("Telephone") – ähnliche Pläne mit der nach Anfängen zwischen R&B und jamaikanischem Reggae bald auch beim Dance-Pop angekommenen Rihanna erwiesen sich bloß als Gerüchte.
Die härteste Nuss scheint derzeit also Katy Perry zu sein. Im Gegensatz zum zwischen rätselhaftem Androgyn-Look und aggressivem Sex pendelnden Image Gagas bleibt die Tortenprinzessin als keimfreier "Teenage Dream" aber langweilig. "Parental advisory" hin, "explicit content" her.
(Wiener Zeitung, 3.11.2010)
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