Freitag, Februar 18, 2011

"In Österreich ist das Sprechen eine Kunstform"

Der Autor, Moderator und Kabarettist Dirk Stermann im Gespräch über seinen Debütroman, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Österreich, das Schreiben und die sogenannte Brachialsatire.

Wiener Zeitung:
Herr Stermann, "6 Österreicher unter den ersten 5", Ihr Debütroman, beschäftigt sich mit dem Österreichischen im Allgemeinen – sowie mit der Rolle des zugereisten Deutschen. Sie leben seit 1987 in Wien. Was hat Sie letztlich dazu bewogen, jetzt über "das Leben mit Ö", wie Sie es nennen, zu schreiben?

Dirk Stermann: Das war eher ein Zufall – und nicht meine Idee, sondern die des Verlages. Die Leute von Ullstein sind an mich herangetreten, und zwar zufällig, als ich gerade zwanzig Jahre in Österreich lebte. Ein guter Moment also, um zu überlegen: Warum bin ich hier? Und wo bin ich hier überhaupt? Ich habe schließlich Erinnerungen und Beobachtungen gesammelt, wobei sich bald herausstellte, dass ein Roman die beste Darstellungsform dafür wäre.

War das Ihr erstes bewusstes Reflektieren über Ihre Zeit in Österreich? Sie sind über die Grenze gestolpert und haben sich danach treiben lassen?

Natürlich reflektiert man dazwischen auch. Man ist nie ausschließlich ein Spielball des Zufalls. Aber tatsächlich hat sich Wien so ergeben – und es hätte eine ganz andere Stadt sein können. Ich kam unbedarft hierher und durfte, weil ich keine Bilder von der Stadt und dem Leben hier hatte, mir die Bilder wie ein staunendes Kind selber sammeln, um es mit André Heller zu sagen.

Zu staunen gab es viel?

Es gab zumindest Auffälligkeiten. Anders als in Duisburg, wo ich herkomme. Aber wenn man an einem Ort neu ist, will man ja überrascht werden, sodass man genau hinschauen und hinhören muss. Man denkt sich: Das gibt es eigentlich nicht. Aber doch!

Thomas Glavinic wird auf der Rückseite Ihres Romans mit den Worten zitiert: "Jeder Mensch trägt einen Roman in sich. Dirk Stermann hat seinen geschrieben." Ist es Ihr Los, "der Deutsche" zu sein?

Ich bin inzwischen beruflich natürlich immer mehr zum Deutschen geworden. Berufsbezeichnung: Deutscher. Die Nationalitätsbezeichnung wäre vermutlich "Deutscher in Wien". Mit Deutschland habe ich schließlich kaum mehr zu tun, die österreichische Staatsbürgerschaft fehlt mir aber.

Die Österreicher hassen die Wiener. Die Wiener hassen sich selbst und alle anderen ohnehin. Und dann kommt Dirk Stermann und schreibt eine Hommage an Land und Leute. Braucht es den Blick von außen, um uns lieben zu können?

Ich vermute eher, dass sich die Österreicher sehr wohl lieben. Man sieht das bei jedem Skirennen: Patriotismus etc. Und im Grunde wissen die Menschen, was sie an Österreich haben. Allerdings: Es gibt da einen Widerstand, der es nicht zulässt, das auch zu bekunden. Es gibt ein Bedürfnis zu schimpfen. Weil man als Wiener aber so musikalisch sprechen kann, ist das egal. Würde jemand aus dem Ruhrpott das Gleiche sagen, klänge es entschieden härter. So ähnelt das Gesagte aber einem Nestroy-Couplet.

In Deutschland dient die Sprache überwiegend der Informationsweitergabe, in Österreich ist das Sprechen auch eine Kunstform. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass es hier so viele Schriftsteller gibt, obwohl es für die Enge des Landes eigentlich viel zu viele sind.

Als Sie nach Wien gekommen sind, lebten nur relativ wenige Ihrer Landsleute hier. Vor zwei Jahren waren die Deutschen erstmals die größte Ausländergruppe der Stadt. Was ist da passiert?

Wir haben es mit zahlreichen Wirtschaftsflüchtlingen aus der Dritten Welt, sprich aus Ostdeutschland zu tun, die in Sachsen-Anhalt keinen Job finden und deshalb in Tirol niedere Dienste leisten. Dazu kommen die Bildungsflüchtlinge – der Numerus clausus! –, die Rentner, die nach Österreich wollen, weil sie es hier angenehmer finden, dann die Kulturfreaks und ein paar Hightech-Gastarbeiter. Ich gehörte wohl zu den Bildunsgflüchtlingen, habe mich aber immer eher als Hightech-Gastarbeiter gefühlt.

Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Österreich, die Sie als solchermaßen in Wien Gestrandeter nun auch literarisch beleuchten, sind vermutlich ein Thema, seit es die beiden Länder gibt. Hatten Sie nie Angst, diesbezüglich in die Klischeefalle zu tappen?

Ich finde Klischees nicht grundsätzlich schlimm. Ich finde sie ulkig! Selbst Uraltklischees wie die Geschichte vom zugereisten Deutschen, der "Oachkatzlschwoaf" sagen soll. Der Roman ist teilweise bewusst klischeehaft geschrieben. Klischees entstehen auch nicht im luftleeren Raum. Sie haben ja oft einen Nährboden.

Der Wiener soll ja den "Schmäh" haben. Der tragische Ruf des Deutschen in der Welt: Er gilt als humorlos.

Das hängt vielleicht auch mit der Plumpheit der Sprache zusammen. Die Österreicher gehen spielerischer mit Sprache um und glauben tendenziell, alles, was nicht spielerisch ist, sei dumm. Jedenfalls hat aber jeder Österreicher Recht, der behauptet, dass der Mainzer TV-Karneval trottelig ist.

Wenn Deutsche und Österreicher einander kennenlernen, drängt sich das deutsch-österreichische Verhältnis als Gesprächsthema auf. Das gilt für jede Party und bedeutet tendenziell öde Themen, wie die Unterschiede in der Sprache, in der Koch- oder Brauereikunst. Nun ist die Welt durch die Globalisierung sehr klein geworden, aber solche Gespräche wirken immer ein wenig so, als würde Marco Polo im 14. Jahrhundert erstmals einem Chinesen begegnen.

Mit dem Unterschied aber, dass Marco Polo nicht Pro7 hatte oder VIVA. Ich glaube, dass durch die Medien eine enorme Angleichung stattgefunden hat – auch sprachlich. Zumindest in den inneren Bezirken Wiens sprechen alle Kids doch in Wahrheit wie die Synchronsprecher von "Dr. House". Vielleicht leicht gefärbt – aber sicher nicht mehr wie Qualtinger.

Anonsten ist es natürlich so: Du gehst nach Schanghai und trinkst dort Tsingtao-Bier. Auch darüber erschließt sich die Stadt. Und dann erfährst du: Das war ursprünglich eine deutsche Brauerei!

Mein erster Gasthausbesuch in Wien führte mich ins Gasthaus Ubl. Auf der Karte stand "Fasch. Braten", wobei ich "Fasch" nur im Zusammenhang mit "faschistisch" kannte, weshalb ich mich bei einem Freund erkundigte, wo wir hier denn gelandet seien. An solchen Lächerlichkeiten machst du dann auch das Fremdsein fest.

Das klassische Partygespräch also: Das Hack und der faschierte Braten . . .

Genau. Erst gestern habe ich zu jemandem gesagt: "Dir ist dein Portmonnaie rausgefallen." Und er meinte: "Kann nicht sein, dass du jetzt schon so lange da bist und ‚Portmonnaie‘ sagst." Es gibt also noch Sachen, wo ich noch unfassbar deutsch bin.

Wie haben Sie sich den Blick auf Wien und Österreich so bewahrt, dass er nicht selbstverständlich geworden ist – und somit für Beobachtungen romantauglich blieb?


Der Ich-Erzähler in dem Buch sagt irgendwann: "Das ist wie eine große Party, zu der ich nicht eingeladen bin." Bei mir ist das inzwischen natürlich nicht mehr so. Ich bin inzwischen Akteur und so sehr im Alltag gefangen, dass alles normal ist – und ich kaum mehr "hinschaue". Gelegentlich mache ich das aber doch. Und wenn man zwanzig Jahre lang "immer mal hinschaut", dann ensteht auch eine Art Blick, der von außen kommt. Zudem ist nur ein Drittel der Handlung so geschehen, wie es geschrieben steht, der Rest ist dramatisierte Wirklichkeit. Dass der Ich-Erzähler nur aus Elementen von mir besteht, die Figuren ein Konglomerat aus verschiedenen Figuren sind, das alles ändert den Blickwinkel. Und es macht Spaß, der eigenen Biografie Dinge zu entnehmen und dann zu sehen, wie die Menschen in meinem Umfeld darauf reagieren.

Als Kabarettist spielen Sie mit Ihrem Partner Christoph Grissemann auch regelmäßig in Deutschland. Stellen Sie Unterschiede zum österreichischen Publikum fest?

Wir haben festgestellt, dass die Österreicher härter im Nehmen sind. Das Brutale hat hier eine größere Akzeptanz, beziehungsweise ist es für Österreicher normaler. Die Deutschen reißt es da früher.

Sie verweisen in Ihrem Roman zwischendurch auch auf die österreichische Innenpolitik, mit der Sie sich ja auch als Satiriker beschäftigen. Ist es in Österreich besonders schwer, diesbezüglich nicht zu resignieren? In Deutschland erscheint vieles korrekter. Dort treten Politiker jedenfalls noch zurück.

Der fehlende Wille zum Rücktritt ist in Italien ähnlich. Das hat wohl mit dem Katholizismus zu tun, die Protestanten sind strenger. Denken Sie an Bischöfin Margot Käßmann, die betrunken mit dem Auto fuhr, erwischt wurde – und sofort zurücktrat. Der Dompfarrer von Wien wäre doch gar nicht auf die Idee gekommen! Ein wichtiger Unterschied: Als Katholik kannst du dir mehr erlauben, weil du beichten kannst.

Generell scheint es oft, als würden Dinge, die gesagt werden, überhaupt keine Bedeutung mehr haben. Nicht einmal die schlimmsten: Nix geschehen. Es wird andauernd relativiert.

Die polizeilichen Telefonprotokolle in der Causa Grasser/Meischberger wurden zuletzt für eine kabarettistische Lesung herangezogen. Auf Twitter waren die "#grassermovies" ein großer Erfolg. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die politischen Verhältnisse zur Lachnummer werden? Dass man sich durch Humor abreagiert – und dann geht alles weiter wie gehabt?


Viel mehr bleibt einem in Wahrheit ja auch nicht über. Was willst du noch sagen? Komisch, dass Grasser das alles darf? Das ist alles so albern.

Die Idee, die übrigens von Florian Klenk stammt, finde ich gut: Wenn schon nichts passiert, dann soll man wenigstens einen guten Show-Act daraus machen. Das ist ja auch politische Bildung.

Ein großes Zutun der Kabarettisten war offenbar nicht nötig; war das Rohmaterial schon komisch genug?

Genau. Was ich wirklich merkwürdig finde: dass es tatsächlich kein Unrechtsbewusstsein gibt. Die bizarren Ausmaße, die das annimmt – wenn Grasser seine Fanpost vorliest. Wenn Ästhetik ein juristisches Argument zu sein scheint: Man ist schön, und deshalb quasi unschuldig. Das ist nicht mehr lustig, sondern fast ein Fall für die Psychiatrie.

Stermann und Grissemann werden gemeinhin als "Brachialsatiriker" bezeichnet. Ist das ein Label, mit dem Sie etwas anfangen können?

Ich bin so harmoniesüchtig, dass die Bezeichnung eigentlich nicht zu mir passt. Aber gegen Labels kann man ohnehin nichts machen. Und es wird schon einen Grund dafür geben. Wir haben uns immer relativ weit aus dem Fenster gelehnt. Manchmal auch zu weit. Gleichzeitig ist das ein Teilbereich der Komik, den nicht viele abdecken. Also machen wir das, und sagen manchmal auch "arge Sachen".

Solche Sachen, die in Deutschland zum Raunen führen?

Und teilweise in Österreich auch. Wenn wir etwas machen, passiert interessanterweise immer sofort etwas. Politische Parteien, die selbst niemals Konsequenzen ziehen, fordern selbige für uns ein. Es geht dann um Arbeitsverbot und Ausweisung.

In Ihrer Sendung "Willkommen Österreich" haben Sie vor einigen Wochen mit einem Witz für Aufregung gesorgt, der vor der Ausstrahlung noch entfernt wurde. Die Pointe: "Wären die Juden mit den ÖBB gefahren, wären sie heute noch nicht in Auschwitz." Die israelitische Kultusgemeinde war empört, "Der Standard" reagierte mit einem eher heftigen Gastkommentar, von Seiten des ORF hieß es, dieses Thema lasse keine Satire zu.

Die ewige Frage: Was darf Satire? Diesmal gab es eine merkwürdige Koalition aus Ariel Muzicant, FPÖ und ÖBB – das war das Triumvirat der Kritik. Ein mit uns befreundeter Komiker, Oliver Polak, der Jude ist und quasi Berufsjude als Komiker, wurde im "Kurier" interviewt. Er meinte dort, man könne gar nicht genug Witze über die Rolle der ÖBB machen! Auf den Hinweis der Zeitung, dass ich aber kein Jude sei und mir ein solcher Witz deshalb nicht zustehe, sagte Polak: Witze werden nicht grundsätzlich besser, wenn Juden sie erzählen.

Bei Muzicant war es etwas bizarr: Er hätte ja auch bei uns anrufen können, tätigte aber eine APA-Aussendung, wodurch der Witz, der nie auf Sendung ging, dann in jeder Zeitung stand.

Es geht für mich in Ordnung, wenn Personen diesen Witz als geschmacklos bezeichnen. Ich hatte auch kein Problem damit, dass er rausgeschnitten wurde, finde aber nach wie vor, dass er gut ist. Und bitte: Es ist kein Holocaust-Witz. Es ist ein ÖBB-Witz!

Sie bezeichnen sich selbst als harmoniesüchtig. Auch Ihr Roman schlägt sanfte Töne an, wenn es gegen Ende hin um das Thema Familie geht. Sie selbst sind Pate der Kindernothilfe. Fällt es Ihnen eigentlich leicht, den Hebel umzulegen und vor der Kamera dann zynische Witze zu machen?

Ja. Ich kann auch Witze darüber machen, dass ich Pate der Kindernothilfe bin. Und ich kann Witze über Kinder in der Dritten Welt machen, und trotzdem versuchen, dazu beizutragen, dass es ihnen besser geht. Ich sehe da keinen Widerspruch.

Um auf Ihren Roman zurückzukommen: Schreiben ist eine stille und vor allem einsame Tätigkeit. Es geht also darum, sich zunächst einmal selbst zu unterhalten?

Ich habe mit Grissemann immer sehr viel zu zweit geschrieben. Kurzfristigst, knapp vor der Sendung. Unsere Kurzgeschichten sind quasi nur mit dem Blick auf die Uhr entstanden: Noch acht, noch vier Minuten! Deshalb reißen sie oft auch irgendwo ab, weil plötzlich das Rotlicht im Studio anging. Diese Art zu arbeiten kannte ich: schnell, knapp, kurz und pointiert.

Die Arbeit jetzt war ganz anders. Sie zog sich über einen längeren Zeitraum. Ich war alleine und konnte selbst entscheiden, wann ich arbeite. Und ich konnte abtauchen! Es ist etwas therapeutisches und abenteuerartiges. Ein zweites Leben zu führen neben dem, das man eigentlich führt. Die Tätigkeit selbst hat mir gutgetan. Die Struktur, die man sich selber gibt, wie man mit Notizzetteln versucht, den Überblick zu bewahren, sich Zwänge aufzuerlegen. Ich bin an sich kein ordentlicher Mensch.

Zur Person


Dirk Stermann wurde am 7. Dezember 1965 in Duisburg geboren. Er lebt seit 1987 in Wien, wo er wenig später für den ORF zu arbeiten begann. Nach abgebrochenen Studien der Geschichte und Theaterwissenschaft wurde er an der Seite seines Tiroler Kollegen Christoph Grissemann bekannt. Gemeinsam mit ihm moderiert er bis heute die FM4-Show "Salon Helga", und vieles andere.

Die Zusammenarbeit zeitigte neben Fernsehshows (wie der seit 2007 erfolgreich im Rahmen der "Donnerstag Nacht" auf ORFeins laufenden Comedy-Schiene "Willkommen Österreich"), Buchveröffentlichungen (z. B. "Debilenmilch", Tropen, 2005) oder dem Spielfilm "Immer nie am Meer" (gemeinsam mit Heinz Strunk, Regie: Antonin Svoboda) auch mehrere Kabarettprogramme. Derzeit stehen die beiden mit "Die Deutsche Kochschau 3.0" auf der Bühne. In den nächsten Tagen erscheinen im Tropen Verlag unter dem Titel "Speichelfäden in der Buttermilch" Stermanns und Grissemanns "Gesammelte Werke I".

Stermann, der auch als Werbesprecher und Testimonial arbeitet, trat zudem als Autor des Kinderbuches "Die Speibbanane" in Erscheinung, das Rudi Klein illustrierte. Seine Kolumnensammlung "Eier" mit Beiträgen aus dem "wiener" ist 2010 im Czernin Verlag erschienen. Sein Debütroman "6 Österreicher unter den ersten 5 – Roman einer Entpiefkenisierung" (Ullstein) ist ein großer Publikumserfolg.

(Wiener Zeitung, 19./20.2.2011)

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