Dienstag, Februar 22, 2011

Im Netz die Stimme

Die britische Band Radiohead veröffentlicht auch ihr neues Album zunächst online. "The King Of Limbs" bleibt musikalisch hinter den Erwartungen.

Vor vier Jahren läutete die britische Band Radiohead mit der Veröffentlichung ihres Albums "In Rainbows" eine neue Ära im sogenannten Musikgeschäft ein. Während die innovative Kraft der 1985 gegründeten Band einst über den Umstand rezipiert wurde, dass sie sich nach konventionellen Anfängen im Gitarrenfach um die Jahrtausendwende künstlerisch neu erfand, um sich fortan einer wie auch immer gearteten Avantgarde zuzuwenden, ging es nun um die Abwendung von der Musikindustrie, wie man sie bisher kannte. Immerhin hatte die Band viele unzufrieden bei ihrem Label EMI verbrachte Jahre lang Zeit, um sich diesbezüglich Gedanken zu machen.

Nach dem als Befreiung empfundenen Ende eines Vertrages über sechs Alben stellte das Quintett um Sänger Thom Yorke seinen siebenten Streich also zum Download auf der Band-Homepage bereit, von wo "In Rainbows" wahlweise gegen einen selbstgewählten Betrag oder gratis bezogen werden konnte.

Ansatz mit Optimierungspotenzial


Radiohead, so hieß es, würden damit endgültig zum Todesstoß für die Musikindustrie ansetzen, die sich lange Zeit vor allem in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte. Andererseits: Nach einer Weltkarriere im "alten System" und dementsprechenden Millionenbeträgen am Konto mochten es sich Radiohead leisten können, ihre Musik zu verschenken. Unbekannteren Künstlern steht diese Tür auch heute nicht offen.

Wie ähnliche Bemühungen im Anschluss zu unterstreichen schienen, war der Ansatz von Radiohead adaptionsbedürftig. Die Nine Inch Nails etwa boten ihr Instrumental-Epos "Ghosts I-IV" nur teilweise gratis an und sorgten mit in physischer Form erhältlichen Deluxe-Editionen für mehr als bloß eine finanzielle Absicherung des Projektes. Heute verfolgen auch Radiohead einen ähnlichen Ansatz. Das am Montag vergangener Woche angekündigte und vier Tage später zum Download bereit gestellte Album "The King Of Limbs" kann, je nach Dateiformat, um sieben oder elf Euro bezogen werden, ehe es Ende März regulär in den Handel kommt. Als mit opulenten Beigaben wie einem 625-teiligen Artwork versehenes "Newspaper-Album" auf Vinyl und CD kann das Werk zudem um 36 Euro vorbestellt werden.

Vertrackte Beats mit Atmosphäre

Während Radiohead mit der spontanen Veröffentlichung verhinderten, dass die neuen Stücke ohne ihr Zutun, also vorab und illegal durch das WWW spukten, konzentriert sich die Berichterstattung über "The King Of Limbs" aber vornehmlich auf dessen Begleitumstände: Das Medium selbst ist die Nachricht, die Musik hat das Nachsehen. Dabei gäbe es diesmal sehr viel zu besprechen.

Nie zeigten sich Radiohead durchwachsener als mit den acht neuen Songs. Dass diese künstlerisch auf der Stelle treten, ist vergleichsweise egal. Der von vertrackten Laptop-Beats und echtem Schlagzeug, Blues-Motivik, gedämpften Klavierakkorden, Streichern und Thom Yorkes traurigen Schwanengesängen charakterisierte, atmosphärische Sound ist auch zum wiederholten Male noch spannend. Allerdings: Diesmal sind der Band die Songs ausgegangen. Den Versuchen, sich der Struktur gegen Ende hin doch noch zu beugen, liegen wiederum keine zündenden Ideen zugrunde. Wie auch das instrumental gehaltene "Feral" gingen bemühte Stücke wie "Codex" oder "Give Up The Ghost" problemlos als B-Seiten durch.

Das ist aber nur menschlich. Auch Götter haben schlechte Phasen.

(Wiener Zeitung, 23.2.2011)

Keine Kommentare: