Freitag, März 11, 2011

Kindchen-Schema mit Gesang

Kinder- und Teeniestars als Futter für die Show-Branche – Derzeit sorgt Justin Bieber für Ekstase im Kinderzimmer.

Im Jahr 1997 wurde Aaron Carter unter den Kindern in Österreich, Deutschland und der Schweiz für kurze Zeit weltberühmt. Der junge Bruder von Nick Carter, seinerseits als Backstreet Boy begehrt unter bereits entschieden älteren Mädchen, für die der Mopedführerschein aber auch noch kaum mehr war als ein Verheißungsangebot der Adoleszenz, sang mit dem Dosenpop von "Crush On You" über sein verliebtes, neunjähriges Herz. Bald wurde es um Aaron Carter aber still. Heute will man sich an sein Werk auch auf der 90er-Jahre-Gedächtnisparty in Mürzzuschlag nicht mehr erinnern.

Im Vorjahr wandte sich Carter an die Öffentlichkeit. Seine Eltern hätten sein Geld falsch verwaltet, ihm zum 18. Geburtstag Schulden von zwei Millionen US-Dollar geschenkt. "Wie soll jemand, der so jung ist, all den Druck ertragen?"

Der Boulevard nahm den Umstand, dass Carter von seinen Eltern angeblich um ein Vermögen betrogen wurde, zur Kenntnis, stürzte sich aber auf seine verhärmte Erscheinung. Der Kinderstar von einst war nicht mehr "niedlich"! Worin sich wohl auch der Grund dafür findet, warum sein Comeback im Sand verlief. Carters Karriere war auf die Rolle des kleinen Bengels beschränkt.

Kinderstars und jugendliche Showbranche-Größen sind vor allem in den USA weder neu noch selten. Vor allem das System Hollywood trug schon früh zur kommerziellen Ausnutzung des Kindchenschemas bei. Das finanzielle Desaster Jackie Coogans, der durch Charlie Chaplins "The Kid" im Jahr 1921 als Sechsjähriger Berühmtheit erlangte und dessen Vermögen von Mutter und Stiefvater verpulvert wurde, führte zum sogenannten Coogan-Gesetz: Es definierte das Einkommen des Kindes als dessen Eigentum. Seit 1939 soll es Coogans Nachfolgern zugute kommen – von Macaulay Culkin bis hin zu den Zwillingen Mary-Kate und Ashley Olsen.

Auch die Karrieren zahlreicher Stars des US-Mainstream-Pop fußen auf harter Aufbauarbeit. Sowohl Christina Aguilera als auch Britney Spears wurden schon als Kind über die Bühnen geschleift. Zumindest von Spears ist bekannt, dass sie ihre Kinder vor einem ähnlichen Schicksal behüten will. Ebenso wie Justin Timberlake moderierten Spears und Aguilera schließlich den "Mickey Mouse Club", eine Kindersendung, die ihnen als endgültiges Karrieresprungbrett diente: Reißbrettkarrieren made in USA, wo die Wahl zur Miss Babyface von Hintertupfing eine Selbstverständlichkeit war, noch ehe sich TV-Angebote von "American Idol" bis "Starmania" institutionalisieren sollten.

Wie auch schon die "Mini Playback Show" bewiesen hat, ließen sich dadurch gleich drei Seiten bedienen. Die Eltern erfuhren Anerkennung, das Publikum durfte sich von der kindlichen Unschuld bezaubern lassen und die Kinder sich im Ruhm sonnen, ohne die Schatten zu sehen.

Justin Bieber, der aktuell die globalen Kinder- und Jugendzimmer bestimmt, ist vor diesem Hintergrund ein eigenes Phänomen.

Geboren wird Justin Bieber am 1. März 1994. Seine Mutter will Schauspielerin werden, wird aber mit 18 Jahren schwanger und vom Kindsvater verlassen. Justin bringt sich verschiedene Instrumente selbst bei. Er versucht sich an Klavier, Gitarre und Schlagzeug. Seine Mutter stellt Videos von ihm auf Youtube, wo Justin bald eine Fangemeinde findet und schließlich entdeckt wird. Ein US-Manager nimmt Bieber unter Vertrag und bringt ihn mit Namen wie Justin Timberlake oder Usher zusammen. Biebers Karriere ist die kanadische Version des amerikanischen Traums, verkauft als Teenage-Dream, lesbar als Geschichte eines sozialen Aufstiegs. Bieber gegenüber der "New York Times": "Ich bin mit wenig Geld aufgewachsen. Wir hatten nie ein Haus. Ich will meiner Mom ein Haus kaufen."

Der Sänger veröffentlicht sein Debütalbum "My World 2.0" im Jahr 2010 – nebensächlich. Er ist der Held des Web 2.0, seine Musik wird auf Youtube gehört. Auf Twitter hat Bieber knapp acht Millionen "Follower", mit denen er auf Augenhöhe kommuniziert. Er steht nicht nur in Interaktion mit dem Publikum, auch seine Herkunft und Geschichte suggerieren den Fans, er sei "einer von ihnen" – anders als sein Kumpel Jaden Smith, Sohn des US-Schauspielers Will Smith, der (wie auch Jadens Schwester Willow) von den Eltern zur Karriere gepusht wurde.

Dabei sorgt längst ein eigener "Swagger Coach" dafür, dass Bieber als typischer Teenager erscheint. So sehr sich auch die Videos bemühen, Bieber als typischen Burschen darzustellen – es folgt der Bruch. Im Video zu "One Time" spielt Justin vergnügt an der Xbox, bis sein Handy läutet und Usher ihn sprechen will: "JB, what’s up, man?"

Der 17-Jährige – derzeit dank "Justin Bieber: Never Say Never" auch als Leinwandheld zu sehen – nähert sich der Erwachsenenwelt über Imitationen der Erwachsenenwelt, begrüßt bei "One Time" in mackerhaftem "Welcome to my house"-Gestus zur Party. Dort allerdings gibt es keinen Alkohol, keine Zigaretten und schon gar keine Drogen, sehr wohl aber pubertierende Mädchen, Konfettiregen und Smartphones.

Die Frage bleibt freilich, ob Justin Bieber je wird erwachsen sein dürfen. Die Zeit bis dahin wäre schon sehr bald vorbei.

(Wiener Zeitung, 12./13.3.2011)

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