Freitag, April 01, 2011

Komprimierte Zerfahrenheit

The Strokes hatten an den Aufnahmen zu ihrem neuen Album, "Angles", angeblich keinen Spaß – das hört man.

Mit den Worten "This is it" kündigte Michael Jackson im März des Jahres 2009 eine Konzertreihe an, zu der es aus bekannten Gründen nicht kommen sollte. Der nach Jacksons Tod veröffentlichte Film gleichen Namens trug nicht nur den Sänger und damit eine Ära zu Grabe, er stand auch am Ende des ersten Popjahrzehnts des dritten Jahrtausends. Dieses hatte im Jahr 2001 seinen ersten Hype erlebt. "Is This It", das Debütalbum der Strokes, einer Band höherer Söhne aus New York City, verzichtete nicht von ungefähr auf ein Fragezeichen am Ende. Keine Zweifel: Das Quintett um Sänger Julian Casablancas war die "It"-Band der Stunde.

Mit scheppernden Dreiminütern, geboren aus jugendlichem Übermut, Langeweile und Vollsuff, sorgte der Fünfer für einen Anachronismus. Während das Jahrtausend mit der Zwei am Beginn Science-Fiction-Autoren einst dazu bewog, sterile Bilder urbaner Welten zu zeichnen, die Androiden in Privat-Ufos zwischen den Wolkenkratzern manövrieren ließen, gingen die Strokes Jahrzehnte zurück. Die 60er und 70er Jahre hatten es ihnen angetan: Garagenrock, Punk, The Velvet Underground standen ihrem Schaffen Modell. Damit war Gitarrenmusik wieder mehr als groß in Mode. Sie eroberte die Tanzflächen zurück und zeigte sich mit Blues-Neudeutungen (The White Stripes) oder dem Post-Punk-Revival (Franz Ferdinand, Interpol) auch in weiterer Folge geschichtsbewusst.

Die Strokes wurden den hohen Erwartungen später nicht mehr gerecht. Weil ihr Zweitling ("Room On Fire", 2003) von der Kritik mehr oder weniger sanft abgewatscht wurde, durfte die Band mit "First Impressions Of Earth" im Jahr 2006 bereits deutlich entspannter ans Schaffen schreiten. Niemand sprach mehr von der besten, coolsten, new-yorksten Band der Welt. Nüchtern betrachtet, präsentierte das dritte Album eine Formation, die sich redlich um künstlerisches Neuland bemühte – wenngleich der Weg dorthin über Metal-Versatzstücke oder Prog-Anleihen führte und die Kritik tendenziell ratlos zurückließ.

Nachdem die Strokes im Rahmen diverser Dekadenrückblicke mit "Is This It" wieder ganz vorn auftauchten, war der Veröffentlichung ihres vierten Albums, "Angles", nun aber ein Mehr an Aufregung beschieden. Dabei stand die Produktion unter einem schlechten Stern. Wie bereits bei den Sessions zu "Room On Fire" trennten sich die Strokes vorzeitig von ihrem Produzenten, um erstmals selbst Regiearbeit zu leisten.

In einem Interview mit dem britischen "NME" bezeichnete Gittarist Nick Valensi die Studioarbeit als "furchtbar". Und er urteilte über "Angles" wenig vielversprechend schon vorab, dass die Band ein noch wesentlich besseres Album in sich trüge, das dereinst erscheinen soll. Das zerrüttete Bandgefüge wiederum manifestierte sich in der Tatsache, dass Julian Casablancas die Aufnahmen schwänzte. Außerdem verzichtete er auf seine Alleinstellung als Mastermind und ließ die Kollegenschaft Songs beisteuern.

So klingt das Album trotz seiner komprimierten Spielzeit von nur 34 Minuten auch ein wenig zerfahren: Neben Hommagen an ihre Anfangstage bricht die Band zu neuen Ufern auf, zu forschen Brettern kommen leicht verschrobene Exkurse.

Der Einstieg gefällt, ohne aber erklären zu können, warum die Band einst so groß war. "Machu Picchu" stapft lässig durch die Gegend, "Under Cover Of Darkness" klingt heiter beschwingt. Während das tatsächlich zwingende "Taken For A Fool" auf "Is This It" nicht negativ aufgefallen wäre, erlaubt sich die Band hier nun einige Geschmacklosigkeiten. "You’re So Right" will experimentell sein und geht dabei locker als Radiohead-Karikatur durch, der leider der Witz fehlt. Tatsächlich, die Strokes meinen das ernst! Sie erinnern mit dem breitbeinigen Pomp von "Metabolism" an die melismatischen Dramen von Matt Bellamy und seinen Space-Rockern Muse und demonstrieren ihre neu gewonnene Liebe für die 80er Jahre mit käsigen Keyboardsounds ("Games").

Das hat seine Momente, ist am Ende aber deutlich zu wenig. Nick Valensi hatte hoffentlich Recht. Egal. Demnächst beglücken uns die Strokes mit einer Welttournee.

(Wiener Zeitung, 2./3.4.2011)

Keine Kommentare: