Montag, Mai 02, 2011

"Heute denken die Bands unabhängiger"

Robert Rotifer, Programmkurator des Popfest Wien, im Interview

Wiener Zeitung: Das Popfest Wien geht in seine zweite Runde. Die Premiere im Vorjahr war ein voller Erfolg, vereinzelte Kritikpunkte gab es aber etwa an der zu niedrig gebauten Bühne oder am Sound. Was wurde nachgebessert?

Robert Rotifer: Zunächst einmal sollte man wirklich auf den Erfolg verweisen, den das Popfest im Vorjahr darstellte. Es gab schon einen Grund, warum die Leute gekommen und geblieben sind.

Das mit der Bühne hatte an sich etwas Romantisches: quasi auf einem Floß am Teich zu spielen. Dass man vor lauter Publikum nicht mehr auf die Bühne sehen würde, das haben wir unterschätzt. Heuer wird sie auf einer eigens angepassten Plattform erhöht stehen und überdacht sein. Da waren wir im letzten Jahr zu wagemutig, wenn wir auch Glück mit dem Wetter hatten. Was den Sound betrifft, so sind wir im öffentlichen Raum an gewisse Vorgaben gebunden. Wichtig ist die zielgerichtete Beschallung.

Es wird heuer also auch das Areal zur Karlskirche hin beschallt, auf dem man im Vorjahr nichts hören konnte?

Das geht auf keinen Fall. Man würde auf die Anrainer und die Kirche strahlen, und das Gemäuer würde den Ton zurückwerfen. Die Firma, die für den Sound verantwortlich zeichnet, hat sich für heuer jedenfalls eine Menge ausgedacht. Der Ton wird besser sein. Auch ich will, dass die Bands zu den besten Bedingungen auftreten können.

Neu ist außerdem die Gleichzeitigkeit der Programmpunkte, eine DJ-Line in der brut-Bar sowie ein Wortprogramm in der Kunsthalle, auf das ich persönlich viel Wert lege. Einzelne Räumlichkeiten werden zudem anders genutzt: Akustische Musik, die mit Hall gut funktioniert, wandert ins Wien Museum, in dem der elektrifizierte Bandsound im Vorjahr nicht aufgehen sollte. Dem TU-Hof wird, soweit das Wetter mitspielt, eine größere Rolle zukommen. Und nicht zu vergessen: Man wird sich nicht mehr so lange für sein Bier anstellen müssen.

Das Popfest Wien versteht sich als Plattform für Pop aus Österreich. Was kann die Veranstaltung für heimische Künstler leisten?

Ein wichtiges Ziel ist es, die Wahrnehmung zu verstärken. Man neigt in Österreich dazu, das internationale „Echte“ anzunehmen – und die heimische Entsprechung. Das Popfest sagt: Diese Bands sind interessant und abendfüllend, auch wenn die meisten von ihnen ein ähnlich großes Publikum höchstens als Vorband einer internationalen Attraktion erreichen könnten.

Pop steht hierzulande traditioniell in einem eigenartigen Eck. Über den Tod der X-Ray-Spex-Sängerin Poly Styrene wurde in Großbritannien zum Beispiel in jeder Nachrichtensendung groß berichtet. Es gibt die ernsthafte Beschäftigung mit einer Kultur, die seit fünfzig Jahren ein dominanter Faktor im Leben der Menschen ist. Mit diesem Ernst und Respekt wollen wir auch österreichischem Pop begegnen und ihn nicht als Beschallung für eine Fressmeile verstehen. Es geht uns um die Aufwertung von Pop in der öffentlichen Wahrnehmung in Österreich, wo der Snobismus der sogenannten Hochkultur eigentlich noch immer ungebrochen ist.

Sie selbst leben in Großbritannien, beobachten das Geschehen also mit geografischem Abstand. Wo steht der heimische Pop für Sie – qualitativ und in der Art, wie er wahrgenommen wird?

Die Qualitätsdichte ist unbestritten hoch, und es ist auch das wahr, was Hannes Tschürtz von inkmusic auf seinem Blog geschrieben hat: Es gibt sehr viele gute Bands, aber vergleichsweise wenig Publikum und Struktur. Vielleicht kann das Popfest mithelfen, das Publikum zu vergrößern. Viele Leute haben im Vorjahr gemeint, sie hätten gar nicht gewusst, dass es so viel guten Pop gibt in Österreich. Man kann darüber snobistisch den Kopf schütteln, was sicher nicht richtig ist. Aber man muss es den Leuten schon hinstellen.

Die Kriterien von Qualität sind jedenfalls vielfältig, und außerdem ist Pop auch kein Wettrennen. Internationale Tragfähigkeit etwa ist kein Kriterium: Der Nino aus Wien funktioniert lustigerweise bei einigen meiner Freunde in England recht gut, auf der sprachlichen Ebene bleibt er hingegen auf eine Region begrenzt.

Der Markt stößt an seine Grenzen, wobei wir dann schnell wieder beim Thema Kulturprekariat angelangt wären …

In Österreich konnte schon immer nur eine ganz kleine Gruppe von Popmusik leben. Und es ist sicher kein Zufall, dass der Austropop, wie wir ihn kannten, schlagerhafte Züge annahm. Damit konnte man sich finanziell über Wasser halten. Die Eigendynamik dieses künstlerischen Kompromisses hat die Popmusik sehr weit zurückgeworfen.

Mittlerweile ist es so unmöglich geworden, in Österreich mit Popmusik reich zu werden, dass junge Musiker diese Ambitionen gar nicht mehr haben. Sie lehnen den Kompromiss ab, der in meiner Generation noch durchaus gängig war, um einen Major-Deal zu bekommen und seinen Job aufgeben zu können. Heute denken die Bands unabhängiger und sind befreit von der Illusion des internationalen Formats. Und man muss das auch entmystifizieren. Wie zum Beispiel noch immer am Erbe Falcos herumgewerkt wird! „Rock Me Amadeus“ als seine größte künstlerische Leistung? Diese Anbiederung an Klischees war doch seine erste künstlerische Pleite. Eine Anbiederung, von der etwa Francis International Airport meilenweit entfernt sind.

Auch die "Popfest Sessions" sind einem gewissen Realismus verpflichtet: "Alles souled out – wozu noch Pop?", "Tod der Popkritik" oder "Verteilungsgerechtigkeit?" – das klingt alles wenig euphorisch.

Pop leidet heute auch darunter, dass sämtliche Experimentalgesten zu einer Art vermarktbarer Größe geworden sind. Wenn ich heute in Großbritannien eine Werbung sehe, dann weiß ich sofort, dass die Leute, die sich die Musik dazu ausgesucht haben, im Prinzip sind wie wir. Dadurch hat sich das gefährliche, das unberechenbare Moment natürlich entschärft. Dem muss man ins Auge sehen. Die popjournalistische Berichterstattung wiederum begnügt sich zu einem Großteil damit, zu verlautbaren, was es Neues gibt und warum das Neue auch cool ist. Der Sinnkrise, die diese Oberflächlichkeit auslöst, muss man sich stellen.

Was die Verteilungsgerechtigkeit betrifft: Als Konsument kam man sich in den letzten zehn Jahren revolutionär dabei vor, die Musikindustrie, die über Jahrzehnte hinweg vieles verbrochen hat, auszutricksen, ohne aber zu bemerken, dass man sich dabei auch selbst ausgetrickst hat. Auch das wollen wir uns genauer ansehen.

Im Vorjahr kam es zu einer Terminkollision mit dem Donaufestival, die für böses Blut sorgte – auch heuer teilen sich die Veranstaltungen ein Wochenende.

Im Vorjahr war der Termin bereits fix, bevor uns die Überschneidung auffiel. Zum Ersten gilt: Die Leute müssen und sollen sich daran gewöhnen, dass in einem Großraum mehrere interessante Dinge nebeneinander ablaufen. Das ist an sich eine gute Sache und gehört zu einer Großstadt nun einmal dazu. Zum Zweiten soll das Popfest am Anfang der Open-Air-Saison stehen, wobei wir am ersten Mai nicht austragen können und vor den Wiener Festwochen austragen müssen. Das Popfest ist keine Festwochen-Veranstaltung, eine Unterscheidung, die uns auch wichtig ist. Es blieb nur dieses Wochenende, die Erklärung ist also ganz banal.

Ich habe heuer aber ganz früh Kontakt mit Tomas Zierhofer-Kin aufgenommen, wobei wir im persönlichen Gespräch klargestellt haben, dass wir einander nicht bekämpfen. Er selbst sieht das, glaube ich, mit einem positiven Fatalismus.

Das Popfest, so hieß es im Vorjahr, sei ein guter Anfang – Wien bauche aber auch ein international besetztes Pendant. Stichwort: Festivalstadt Barcelona.

Wien braucht ein solches Festival ganz bestimmt. Aber wenn man sich das Primavera in Barcelona ansieht: Das ist einfach eine ganz andere Größenordnung. In Wien braucht es Zeit, Strukturen wachsen zu lassen. Ich möchte noch nicht zu weit vorgreifen, aber mit dem Waves-Festival, das heuer im Herbst starten soll, hätte man dafür eine gute Ausgangsbasis. Ich bin der Meinung, dass da etwas im Begriff ist zu entstehen.

Das Popfest wird mit 180.000 Euro von der Stadt Wien unterstützt. Gibt es bereits eine Zusage für das nächste Jahr oder darüber hinaus?

Das Schöne an meiner Position als Programmkurator ist, dass ich mit den Geldverhandlungen absolut gar nichts zu tun habe. Das machen die Leute von karlsplatz.org, die als Veranstalter fungieren. So viel ich aber weiß, gibt es derzeit noch keine Verhandlungen. Wir bemühen uns zunächst, dass das zweite Popfest funktioniert und schauen dann, wie es weitergeht.

Am Karlsplatz als Veranstaltungsort wurde festgehalten. Was sind die Vorteile dieses Areals?

Der Karlsplatz bedarf durch seine Geschichte als nicht unbedingt fröhlichster Ort Wiens solcher Ereignisse, damit er seinen Wert hat. Ein klarer Vorteil für uns: Man muss dort nicht, wie etwa auf der Donauinsel, Infrastruktur mühsam errichten.

Auch wenn das Popfest als Gesamtpaket funktioniert: Wen würden Sie heuer im Speziellen empfehlen?

Persönlich bin ich sehr gespannt auf den Auftritt von Bensh, bei dem ich ein ähnliches Gefühl habe wie im Vorjahr bei Ginga: dass den noch wenige kennen, er aber sehr vielen Leuten gefallen wird. Sehr freue ich mich zudem auf den Seebühnen-Auftritt von Black Shampoo, die Neo-Psychedelic auf eine Art und Weise spielen, wie das in Wien bisher noch niemand gemacht hat. Mit Nachdruck sei außerdem auf die Hip-Hop-Nacht und unsere Panels hingewiesen.

(Wiener Zeitung, 3.5.2011 / Langfassung online)

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