Start des Donaufestivals: Bis zum 7. Mai regieren Subkultur und Avantgarde in Krems
Mit der Abkehr von womöglich etwas zu konkret ausgefallenen Festivalmottos wie etwa „Failed Revolutions“ im Vorjahr hat sich das Donaufestival heuer einen Gefallen getan. Der unter dem Motto „Nodes, Roots & Shoots“ („Knoten, Wurzeln und Triebe“) im Mission Statement zwar noch immer verkopft abgehandelte Überbau des Festivals ermöglichte mit einer Fokussierung auf Netzwerkthemen sowie auf die Verschränkung der Medien Pop, Performance, bildende Kunst und, und, und vor allem, dass man dem Gebotenen unbeeinflusst gegenüberstehen konnte, die Künstler sich weder zwingend einem Thema verschreiben oder an ihm vorbeiarbeiten mussten.
Auf der Popebene galt es es ohnehin, entlang der Grenzlinie einer wie auch immer gearteten Subkultur zu spazieren, wobei zumindest in einem Fall aufgezeigt wurde, wie eine genuine Avantgarde auch heute noch aussehen kann: In Gestalt des 1989 (!) geborenen Briten James Blake, der sein Wissen um das Dubstep-Genre mit konzisem Songwriting kurzschließt, stand sie als vorgezogener Höhepunkt am Beginn des Abends. In der zwischen liturgischen Nebelgaben und weltlichem Stroboskopgewitter auf die Atmosphäre dieser Musik zur Zeit gepolten Minoritenkirche führte Blake durch sein Klanguniversum, das unterkühlte Laborelektronik und wärmendes Gospel-Klavier ebenso zusammenführt wie begnadet-leidende Vibratogesänge und Vocodereffekte. Vom Dubstep-Genre bleiben bei Blake markante Subbässe, windschiefe Hochkonzentrationsrhythmen, ein Hang zur Aussparung und viel Atmosphäre übrig.
Mit seiner zweiköpfigen Band, die ihre Instrumente partout nie so klingen ließ, wie sie von Haus aus zu klingen hätten, schickte Blake seinen Binär-Soul glasklar durch die Kirche und überraschte vor allem mit einem: sämtliche Elemente dieser hoch elaborierten Kunst wurden live auch tatsächlich live generiert, die vertrackten Beats so exakt ungerade gesetzt, wie sie eben exakt ungerade gesetzt werden müssen. Das beeindruckte vor allem bei „To Care (Like You)“, das in seiner Abgehacktheit klingt, als wäre eine CD hängen geblieben. Sein nicht nur vergleichsweise zärtliches Feist-Cover „Limit To Your Love“ versah Blake mit einem grandios ausschweifenden Dub-Teil, während er etwa bei „The Wilhelm Scream“ dichte Walls of Sound errichtete.
Mit solchen kam auch Ben Frost dem Avantgarde-Gedanken am nächsten. Die als Tinnitus-Macher in Richtung „Hören mit Schmerzen“ gelenkten Ambient-Drones des Wahl-Isländers erwiesen sich trotz dissonanter Spuren und Noise-Attacken als nicht nur unterschwellig melodiös. Die Wild Beasts begeisterten mit ihren belebend-herzerwärmenden Falsett-Hymnen, die nicht minder romantisch ausfallen als die Kunst Owen Palletts, der dank ausgefeilter Looptechnik an der Geige als Ich-AG symphonisch erschallte, ehe er später mit einem heimischen Streichquartett auftrat – aufgrund seines verspäteten Auftritts aber lustlos Dienst nach Vorschrift versah.
Das femous orchestra musizierte mit seinem „March of The Women“ zwischen Hüttengaudi, Karneval und Free-Jazz, während Fluxus-Pionier Ben Patterson John Cages 4′33″ live darbot und das performative Herzstück des Abends (New Black) menschliche Abgründe mit seiner Theaterperformance „Die Gesellschaft des Bösen“ unter teils drastischer Publikumsmiteinbeziehung verhandelte.
Der Rest waren Spielereien: Ein Modellauto brauste mit Tonabnehmer über Second-Hand-Vinyl, um Lärm zu erzeugen. Marnix de Nijs entdeckte schließlich den Massenmörder und Pornostar in uns allen: ein gewinnbringender Abend!
(Wiener Zeitung, 30.4./1.5.2011)
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