Im Krieg mit der Seele: PJ Harvey gastierte in der Frankfurter Jahrhunderthalle.
Die Kunst, sich selbst ins rechte Licht zu rücken, ist bei PJ Harvey ein Schattenspiel. Bei ihrem Konzert in Frankfurt am Main war die Sängerin in ein so nachtschwarzes Tarnkleid gehüllt, dass man sie im Bühnendunkel nur mit Mühe erspähen konnte. Nur an ihrem Platz vor dem Mikrofon ragte die bleiche Sängerin aus dem Trockeneisnebel hervor: Heller sollte es an diesem Abend nicht mehr werden.
Bei einem ihrer handverlesenen Europatermine erklärte Harvey, die seit zehn Jahren einen weiten Bogen um Österreich macht, ihr Werk bereits optisch. Die 1969 in Dorset geborene Sängerin widmet sich den Abgründen der Seele. Wie man sich live von Stücken wie „Dear Darkness“ aus dem einer noktambulen Geistermusik verschriebenen Album „White Chalk“ überzeugen durfte, hat das aber schon seine Richtigkeit. Zumindest in der Kunst gilt das Leid doch meistens als erheblich interessanter als die Unbeschwertheit. „Dear darkness, won't you cover, cover me again? Dear darkness, I've been your friend for many years ...“
In Bezug auf diese Gestimmtheit ist PJ Harvey die konsequenteste Vertreterin ihrer Zunft – zehn seit dem Jahr 1992 entstandene Alben künden davon. Zuletzt aber stellte die Frau, die Nick Cave nach einer Kurzzeitbeziehung zum balladistischen Romanzendichter verwandelte, ihre Seelenschau aber in einen größeren Zusammenhang. Auf „Let England Shake“ widmete sich die Sängerin den Themen Krieg und Gewalt am Beispiel ihrer britischen Heimat. Von der Schlacht von Gallipoli bis hin zum Engagement ihres Landes in Afghanistan und im Irak reicht der Bogen, von dem Harvey wie aus den Kriegstagebüchern erzählt. Dabei entstanden keine Protestsongs, sondern poetische wie gleichermaßen beklemmende Lieder, die nicht missionieren wollen. Zu weiten Teilen in einer alten Kirche live eingespielt, arbeitete Harvey mit ihrer Band bereits bei den Aufnahmen mit dem Blick auf die Bühne. Entsprechend klug, entsprechend dicht klangen die Ergebnisse nun auch in Frankfurt.
Gemeinsam mit dem ehemals als Bad Seed auch für Nick Cave entscheidenden Mick Harvey, ihrem Seelenverwandten John Parish sowie Jean-Marc Butty am (Beserl-)Schlagzeug begeisterte die Musikerin knapp neunzig Minuten lang mit folkinfizierten Songs, aus denen zur Schlacht blasende Waldhörner ebenso hervorstachen wie PJ Harveys Spiel an der Autoharp. Harvey, die sich konsequent stets ihrer aktuellen Schaffensphase verpflichtet, verzichtete auf alte Hits und spielte ihre aktuelle Arbeit zur Gänze. Vom lyrischen „Hanging In The Wire“ über das polternde „Bitter Branches“ bis hin zum Lumpen-Rock von Göttersongs wie „The Words That Maketh Murder“ oder „The Last Living Rose“ und dessen welker Verwesungslyrik.
Eins mit sich selbst und ihrer Kunst interagierte PJ nicht mit dem Publikum und beschränkte ihre vielschichtige und tatsächlich als Instrument verwendete Stimme auf den Gesang, der mit Mick Harveys dunklem Bariton bestens harmonierte. Lose eingestreute ältere Songs kündeten bisweilen bei erheblichem Gänsehautfaktor von Kindesmord („Down By The Water“), einsamen Huren und ihren auf immer unerfüllbaren Sehnsüchten („Angelene“) und dem Teufel auf Wanderschaft durch die Seelen seiner Opfer („The Devil“).
Das war so erschütternd, dass selbst PJ Harvey am Ende kurz lächeln musste. Chapeau!
(Wiener Zeitung, 12.7.2011)
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