Freitag, September 23, 2011

Kontrollverlust mit Klasse

Über das neue Album der belgischen Eklektiker dEUS.
 
Dass dEUS vom Anbeginn ihrer Karriere auf eine eingeschworene internationale Fangemeinschaft vertrauen dürfen, ist aus zwei Gründen erstaunlich: Zum einen stammt die 1991 gegründete Band aus Belgien, einem Land also, das trotz seiner lebendigen Szene nicht unbedingt als globales Pop-Epizentrum gilt. Ein Umstand, den die Band auch auf ihrem Album „Vantage Point“ 2008 augenzwinkernd verhandelte: „If you don’t come from the States / You will always be late to be in popular culture.”

Zum anderen musste man sich das Kollektiv um Mastermind Tom Barman gerade in seiner Anfangsphase erst einmal erarbeiten. Eklektizistische Werke wie „Worst Case Scenario“ oder „In A Bar, Under The Sea“, auf denen dEUS weit ausfransende und von so unterschiedlichen Künstlern wie Captain Beefheart, den Pixies oder Pavement beinflusste Songs ausstellten und dabei einen teils jazzafinen Art-Rock bastelten, waren doch eher schwer fassbar.

Dieser latenten Ungreifbarkeit blieb die Band zwar auch später noch treu. Spätestens mit „The Ideal Crash“ waren dEUS 1999 aber auch beim klassischen Songwriting angekommen. Seither sollten Stücke wie „Sister Dew“ oder „Instant Street“ eigentlich auf jeder Popakademie im Grundkursus „Dramaturgie und Arrangementlehre“ als Musterbeispiele angeführt werden.

Nach einer sechsjährigen Pause, in der Barman gemeinsam mit dem britischen Produzenten CJ Bolland und dem Projekt Magnus einen musikalischen Seitensprung wagte und sein Debüt als Filmregisseur gab, haben dEUS erstmals als fix besetztes Quintett zueinandergefunden. Außer Barman ist aus der Urformation nur mehr Klaas Janzoons dabei, der seine Geige mitunter malträtiert wie einst John Cale seine Bratsche für Velvet Underground. Während dEUS im Weiteren auf klassischer Songbasis noch immer für überraschende Wendungen sorgten, hat man es bei „Keep You Close“ nun mit der bislang gewöhnlichsten Arbeit der Belgier zu tun.

Dass das nichts Schlechtes bedeutet, erklärt gleich zu Beginn das Titelstück, das mit Pauken einfällt und mit Streichern besticht, die sich gegen Ende dramatisch emporschwingen. Während „Constant Now“ den typischen dEUS-Groove ins Spiel bringt und Songs wie „Dark Sets In“ und das ungeniert poppige „Ghosts“ mit drastischem Stromgitarrengebrauch auffällig werden, entfaltet sich das organische „The End Of Romance“, durch das Barman mit sonorer Erzählstimme führt, ungleich eleganter. Abgerundet wird das so erzeugte, ungewohnt homogene Klangbild von Bläsern, Fender Rhodes Piano und jeder Menge Xylofon. Als Gastsänger gastiert bei zwei Stücken mit Greg Dulli (The Afghan Whigs, The Twilight Singers) übrigens auch nicht Niemand.

Begünstigt wurde der glatte Wurf womöglich von der Tatsache, dass erstmals in der Bandgeschichte alle Musiker am Songwriting beteiligt waren und der als Control-Freak bekannte Barman die Kontrollposition von Produzent David Bottrill persönlich entzogen bekam. Kein Schaden – wie man hört, soll beim nächsten Album aber schon wieder alles ganz anders sein.

dEUS: Keep You Close (PIAS) 

(Wiener Zeitung, 24./25.9.2011)

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